Ausstellung - Ukrainisch-deutsche Gruppenausstellung von artifact - ab Sonntag 9.7

wir laden ganz herzlich ein zu unserer gemeinsamen Ausstellung im KunstHaus im Ulanenweg ab Sonntag 9.7. 16h - dann auch gleich mit einer Performance

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Zeitgenössische Kunst

Die Bombe unterm Tisch: eine deutsch-ukrainische Kunstausstellung in Potsdam

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Die ukrainisch-deutsche Ausstellung „Lacuna“ in Potsdam dreht sich um das Leben im Exil und die Erfahrung, nicht alles sagen zu können, was man fühlt

Mathias Richter

05.07.2023, 17:07 Uhr

Potsdam. Der Aufenthaltsort ist nicht freiwillig gewählt. Wie eine fremde Welt fühlt er sich an, in die man hineingeworfen ist und deren Sprache man nicht spricht. Und aus der ausgerechnet der Ausgang, der in die Heimat führen könnte, verschlossen ist. So geht Exil.

Die ukrainische Künstlerin Tetiana Malinovska hat diesen Zustand in einem kleinen Raum ausgebreitet. Haushaltsgeräte, Kleidungsstücke, Bücher, Tonbänder, Teile von Kunstwerken liegen auf dem Boden verstreut – Brauchbares neben weniger Brauchbarem. Ein zusätzliches Video gegenüber zeigt, wie sie die Utensilien anordnet, manches wieder wegnimmt, Neues dazulegt. „Das ist unser Alltag“, sagt die Künstlerin, die seit dem Krieg in Potsdam lebt. „Wir haben alles verloren und fangen mit anderen Dingen neu an.“ Sie stehe vor einer gänzlich ungewissen Zukunft. Der Raum ist in Kunstnebel getaucht.

„Lacuna“ – etwas, was man nicht wirklich sagen kann

Malinovkas künstlerische Reflexion über ihr neues Leben im Exil ist Teil einer Ausstellung, die von Sonntag an im Kunsthaus Potsdam zu sehen sein wird. Überschrieben ist die Schau, zu der sich drei ukrainische und drei deutsche Künstlerinnen und Künstler zusammengefunden haben, mit dem geheimnisvollen Titel „Lacuna“. Das lateinische Wort bedeutet „Lücke“ oder „Loch“ und steht in den Sprachwissenschaften für das Phänomen, wenn ein Wort aus einer Sprache nicht präzise in eine andere übersetzt werden kann. Dann bleibt ein unbenennbarer Rest.

Die Künstlerinnen und Künstler: Artem Volokitin, Udo Koloska, Bianca Baalhorn (v.l.o.), Anna Moskalets und Jenny Alten (v.l.u.)

© Quelle: Julius Frick

So lässt sich etwa das deutsche Wort „Heimat“ kaum in einer anderen Sprache angemessen ausdrücken. Die englische oder auch französische einigermaßen sinngemäße Entsprechung wäre „zuhause“. Im Ukrainischen kommt „ridne misto“, was ungefähr so viel bedeutet wie „Herkunftsort“ der deutschen Heimat noch am nächsten. Aber mit der vertrauten sozialen Umgebung und der verinnerlichten speziellen Kulturgeschichte, all das, was Heimat strenggenommen auch meint, hat das freilich wenig zu tun.

Genau darum geht es in der Potsdamer Ausstellung. Um das, was dem anderen nicht so richtig gesagt werden kann. Was notgedrungen unter den Tisch fällt. Insofern ist die Ausstellung ein Versuch der Verständigung über unterschiedliche Haltungen, Gefühle, Sichtweisen. Den sechs Künstlerinnen und Künstlern gelingt das durch eine sehr eigenwillige Bildsprache.

Für Tetiana Malinovska ist es die erzwungene Erfahrung des Neuanfangs. Gleich nach Kriegsbeginn floh sie mit ihrem Mann, dem Künstler Artem Volokitin und ihren fünf Kindern aus ihrer Heimatstadt Charkiw. Erst aufs Land und wenig später in einer halsbrecherischen Autofahrt mitten durch den Krieg nach Potsdam.

Artem Volokitin weigert sich, ein Opfer zu sein

Drei Monate später fanden sie Bilder in den sozialen Medien, die zeigten, wie eine Rakete in ihr Wohnhaus einschlug. Jetzt versucht sie diesen emotionalen Zustand der Entwurzelung mit ihrer Kunst sichtbar zu machen, indem sie die Unstetigkeit ihres Daseins mit beliebig arrangierten Alltagsgegenständen verbindet. Ein Prozess der künstlerischen Aufarbeitung eines Traumas – und eines Verlustes dessen, was wir Deutschen „Heimat“ nennen.

Ganz anders geht ihr Ehemann mit dieser Erfahrung um. Artem Volokitin gehört zu den bekanntesten Vertretern zeitgenössischer Kunst in der Ukraine. Der Mann, der die Ukraine nur wegen seiner fünf Kindern verlassen durfte, weigert sich, ein Opfer des russischen Angriffskrieges zu sein. Er hat eines seiner riesigen hyperrealistischen Gemälde in Einzelteile zerlegt und zu einer dreidimensionalen Installation collagiert, die weit in den Raum ragt. Seine Arbeiten, die nach dem Krieg im Exil entstanden, sind für ihn ein Neuanfang. „Es sind Bilder der Hoffnung, dass wir unser Land zurückerobern“, sagt er. Und in der Tat, auf den meisten der ausgestellten Bildfragmente sind Spuren eines Lichtstrahls zu erkennen.

Die Installation „Zusammengeflickt – Straße des Friedens“ von Jenny Alten (Ausschnitt). Im Hintergrund: „Lacuna“ von Anna Moskalets.

© Quelle: Julius Frick

Butscha, Irpin und die deutschen Verbrechen in der Ukraine

Dass seine deutsche Kollegin Jenny Alten trotzdem eine Opfergeschichte erzählt, gefällt ihm daher nicht wirklich. Doch Alten kann ihre deutsche Perspektive auf den Ukrainekrieg nicht verbergen. Die Potsdamer Konzeptkünstlerin hatte sich von Anfang an um ukrainische Flüchtlinge gekümmert. Die russischen Massaker von Butscha und Irpin ließen sie auf die deutsche Geschichte zurückblicken: auf die systematische Vernichtung ukrainischer Juden durch Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg, auf die Massengräber mit verscharrten Leichen, die irgendwann wieder an die Oberfläche kamen.

Jenny Alten stapelt aus weißem Stoff gefertigte menschliche Körper übereinander bis an die Decke. Es sind anonyme gesichtslose Gestalten, die da wahllos aufeinanderliegen. „Und es ist erschütternd, wie schnell man bei dem Anblick vergisst, dass jede einzelne Figur für einen konkreten Menschen steht, mit seinen Schwächen und Besonderheiten“, sagt sie.

Anna Moskalets: Kulturbotschafterin im Exil

Anna Moskalets will genau darauf hinweisen. Auf das Besondere, Eigenwillige von Personen und ihrer Kultur. Sie versteht ihr Exil als Auftrag, ihre ukrainische Identität zu repräsentieren. Deshalb hat sie eine 2019 in ihrer Heimat begonnene Serie von großformatigen Porträts weitergeführt. Es sind farbmächtige Gemälde, die Menschen verhüllt vor bunten, folkloristischen Tüchern zeigen. Die Stoffe stammen von ihrer Großmutter, die in der Nähe von Charkiw lebt. Zehn solcher Kopftücher hat sie nach Deutschland mitgebracht. Auch auf ihren neuen Bildern sind die Gesichter hinter buntbedruckten Stoffen verborgen. Sie mahnen, doch nicht zu vergessen, dass jede nationale Kultur von konkreten Mensch aus Fleisch und Blut gelebt wird.

Wirkliche Menschen, die in den täglichen Kriegsnachrichten oft vergessen werden. Denn Nachrichten filtern die Ereignisse und ordnen sie nach Aktualität und Relevanz. Individuelles Leid wird dann gerne unterschlagen. Der Potsdamer Medienkünstler Udo Koloska hat am 24. Februar vergangenen Jahres, dem Tag des Kriegsbeginns, in seinem Garten Vogelstimmen aufgenommen. In seiner Soundinstallation werden sie vom leisen Summen zweier Ventilatoren überlagert, die über komplexe Rückkoppelungen einen vielstimmigen Klangteppich erzeugen. Koloskas Geräuschkulisse macht sinnlich erfahrbar, wie die Nachrichten vom Krieg sich eines friedlichen Alltag bemächtigen.

Drei ukrainische und drei deutsche Künstler

Die Ausstellung „Lacuna“ ist eine ukrainisch-deutsche Gruppenausstellung in der es um die Erfahrung des Exils und die Grenzen der Verständigung in einer fremden Sprache geht.

An der multimedialen Schau beteiligt sind die ukrainischen Künstler Tetiana Malinovska, Anna Moskalets und Artem Volokitin sowie die Potsdamer Jenny Alten, Bianca Baalhorn und Udo Koloska.

Lacuna. Ukrainisch-deutsche Gruppenausstellung. Kunsthaus Potsdam, Ulanenweg 9, Mi-So 12-17 Uhr. 9. Juli bis 20. August.

Wenn die Potsdamer Ausstellung am Sonntag öffnet, wird Tetiana Malinovska die Besucher dazu einladen, sich von den gezeigten Gegenständen etwas auszusuchen und mitzunehmen – aber auch neue Dinge mitzubringen. So soll ein kollektives Exilgefühl entstehen.

Bianca Baalhorn: Verdrängung beim Kaffeekränzchen.

Gleichzeitig wird die Potsdamer Schauspielerin und Regisseurin Bianca Baalhorn im Eingang des Kunsthauses deutsche Gemütlichkeit inszenieren: Vier ältere Damen werden sich zum Sonntagskaffee an einem Tisch mit weißer Tischdecke, edlem Porzellan und poliertem Besteck einfinden und sich fröhlich über gute alte Zeiten und verflossenes Glück unterhalten. Was das Kaffeekränzchen tunlichst unterschlägt, ist die fette Bombe, die neben den Füßen unterm Tisch platziert ist. Es gibt eben Dinge, die man nicht sagen kann, und es gibt Dinge, über die man einfach nicht reden will. Man nennt es Verdrängung.

MAZ

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