2024-01-19 PNN | Nach Geheimtreffen in Potsdam: Was will, was kann die Kultur tun?

Nach Geheimtreffen in Potsdam: Was will, was kann die Kultur tun?

Die Enthüllung rechtsextremer Aktivitäten im Landhaus Adlon schockierte viele. Wie Potsdams Kulturakteure reagierten – und was sie jetzt planen.

Von Lena Schneider

19.01.2024, 23:28 Uhr

Fragt man Sabine Chwalisz, künstlerische Leiterin der Fabrik, nach ihrer ersten Reaktion auf die Correctiv-Recherche, erzählt sie von ihrem Sohn. Der kam eines Tages aus der Schule und sagte: „Dann müssen wir ja auch gehen.“ Sabine Chwalisz hat polnische Wurzeln. Das ist die persönliche Ebene. Sie ist von der beruflichen nicht zu trennen. Als Leiterin der Fabrik sagt Chwalisz: „Internationalität war uns von Beginn an eingeschrieben.“

Nachdem Correctiv das Geheimtreffen im Landhaus Adlon enthüllt und über den „Masterplan“ für eine millionenfache Vertreibung von Menschen aus Deutschland berichtet hatte, reagierten viele schockiert. Auf den Schock folgte die Frage: Was tun, um die attackierte Demokratie zu schützen? Eine erste Antwort war die Demonstration am 14. Januar. 10.000 Menschen gingen auf die Straße. Ein wichtiges Zeichen. Aber wie weiter?

Sabine Chwalisz ist Leiterin der Fabrik Potsdam.

Sabine Chwalisz ist Leiterin der Fabrik Potsdam.

© Ottmar Winter PNN

Das beschäftigt auch viele Kulturakteure. Am schnellsten reagierte das Hans Otto Theater (HOT). In Anlehnung an den Theaterabend am Berliner Ensemble, wo Teile der Correctiv-Recherche verlesen wurden, hat Potsdams Theater für den 27. Januar einen eigenen Abend angekündigt. Es soll gelesen, aber auch diskutiert werden. „Die Mitte der Gesellschaft muss jetzt Farbe bekennen und klar Position beziehen“, sagt Bettina Jahnke. „Aufstehen. Laut sein.“

Jahnke zufolge muss sich das Hans Otto Theater mit diesem Vorsatz nicht neu erfinden. Den Kurs habe sie schon 2018 formuliert: „Haltung, Offenheit, Toleranz.“ Ein Blick auf die Aktionen des Theaters gibt ihr Recht. Ob Belarus 2020, Ukraine 2022, Israel 2023 oder die Correctiv-Recherchen 2024: Das Hans Otto Theater, Potsdams größte Kultureinrichtung, positioniert sich.

Keine Symbolhandlungen bitte

Und die anderen? Vielerorts zeigt sich: Neue Formate brauchen Zeit. Manche, wie Waschhauschef Mathias Paselk, formulieren auch eine Scheu vor „Symbolhandlungen“. Paselk möchte keine „Antifa-Fahne auf dem Dach“, sondern das Bekenntnis zu Demokratie und Vielfalt tatsächlich leben, sagt er. Diskurse beleben, durch Ausstellungen wie „Grand Hotel Abgrund, Vollpension“ deutsche Geschichte erinnern. Als das Hans Otto Theater von dem Plan für den 27. Januar berichtete, bot Paselk die Arena für ein Streaming an. Womöglich wird der HOT-Abend dort übertragen.

Mathias Paselk, Leiter des Waschhauses.

Mathias Paselk, Leiter des Waschhauses.

© Andreas Klaer

Viele Kulturakteure betonen: Der Ruf nach „Remigration“ in dieser Dimension sei zwar schockierend gewesen, das Bedürfnis, sich für Demokratie einzusetzen, jedoch ist nicht neu. Die Fabrik gehörte zu den Erstunterzeichnenden der Initiative „Shield and Shine“, eine Kampagne der 2017 gegründeten Bewegung Die Vielen. Eine Bewegung gegen rechtsextremen Hass, populistische Hetze, eine Normalisierung der AfD.

142 Kulturorte in Brandenburg haben die „Brandenburger Erklärung“ unterschrieben. 26 davon aus Potsdam. Ob Nikolaisaal, Waschhaus oder Museum Barberini, alle haben sich verpflichtet: „Alle Unterzeichnenden fördern die demokratische Debatte.“ Wie machen sie das, gerade jetzt?

Früher war der Nikolaisaal politisch neutral. Das ist jetzt vorbei. Es ist nicht die Zeit, neutral zu sein. Es ist die Zeit, um den Mund aufzumachen.

Heike Bohmann, Geschäftsführerin des Nikolaisaals Potsdam

Die Antwort ist nicht immer leicht zu geben. Nicht immer erlauben die personelle Struktur oder der Planungsvorlauf, so zu reagieren, wie es die Haltung vielleicht vorgeben würde. Das T-Werk etwa hat sieben Stellen zur Verfügung, „da sind unsere Möglichkeiten sehr begrenzt“, sagt Leiter Jens-Uwe Sprengel. Wie in der Vergangenheit werde das T-Werk statt auf eigene Veranstaltungen auf Kooperationen setzen müssen. Mit dem autonomen Frauenhaus oder der Initiative „Tolerantes Brandenburg“.

Die Orte, die schon in der Vergangenheit im Programm Schwerpunkte zu Demokratie und Toleranz hatten, sind jetzt klar im Vorteil. Und sie werden wichtiger denn je. Das Freiland ist ein solcher. Im letzten Jahr machte er unter anderem durch den Arado-Rundgang von sich reden, der historisch fundiert auf die NS-Spuren des Geländes führt. Überrascht von den Enthüllungen ist das Freiland-Team nicht.

Etablierte politische Praxis

„Die rassistischen Visionen des Treffens entsprechen dem, was wir von Nazis gewohnt sind“, sagt Geschäftsführer Achim Trautvetter. „Die Berichte vom Correctiv bestätigen uns lediglich wieder einmal, wie wichtig es ist, antifaschistische Grundhaltungen in allen Bereichen der Gesellschaft präsent zu haben“. Das Freiland begreift sich als sicherer Ort für Menschen, die rechter Hetze und Hass ausgesetzt sind. „Und das wird auch so bleiben.“

Michael Fürst, seit 2023 Direktor des Filmmuseums Potsdam.

Michael Fürst, seit 2023 Direktor des Filmmuseums Potsdam.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Auch das Filmmuseum hat längst eine politische Praxis etabliert: Seit 2021 gibt es die Reihe „Gegen rechts“. Zum Start des Wahljahres 2024 sei sie im Programm noch „vorrangiger“ platziert worden, sagt Direktor Michael Fürst. Als Nächstes läuft, ebenfalls am 27. Januar, „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ (1982), ein Dokumentarfilm von Nina Gladitz. Er untersucht, wie Leni Riefenstahl für ihren Film „Tiefland“ Sinti und Roma als Komparsinnen und Komparsen einsetzte, die später deportiert wurden. Nach Auschwitz.

Im April will das Filmmuseum „Arena 196 – Zwischen Wende, Wahl und Wirklichkeit“ zeigen, über die Bundestagswahl 2021 in Thüringen. Anlass, „um über die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg zu reflektieren“, sagt Michael Fürst. „Sowie über die politischen Instrumente, die hier gegen den fortschreitenden Rechtsruck in Position gebracht werden müssen“.

Fürst betont, dass der Rechtsruck auch intern und im Austausch mit anderen Kultureinrichtungen Thema sei. Letzteres ist vielerorts zu hören: der Wunsch nach Vernetzung und Schulterschluss. Ein wesentliches Tool dafür gründete sich Mitte 2020 im Zuge der Pandemie: die Initiative KulturMachtPotsdam. Jetzt wird sie wieder gebraucht. Ein erstes Treffen zum Thema gab es am Freitag (19.1.).

Alexander Hollensteiner, Geschäftsführer der Kammerakademie Potsdam.

Alexander Hollensteiner, Geschäftsführer der Kammerakademie Potsdam.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

2024, eine Zäsur?

Ähnlich wie der Fabrik ist auch der Kammerakademie Potsdam durch Gäste und das Orchester selbst die Internationalität eingeschrieben. Für die kommende Saison plant das Geschäftsführungsduo Adriana Kussmaul und Alexander Hollensteiner, gemeinnützige Initiativen im Bereich der Gemeinwohlarbeit, Demokratie-Förderung oder politischen Jugendarbeit zu unterstützen. „Fraglos stellen die Enthüllungen von Correctiv eine neue und radikalere Stufe der Antidemokratie, des Antihumanismus und des gesellschaftlichen Rechtsdralls dar“, sagt Hollensteiner. Auch eine Zäsur? „Das wird man wohl eher in der Rückschau auf 2024 feststellen können.“

Aber: Für einige Orte, die sonst eher nicht für politische Positionierungen stehen, könnte 2024 tatsächlich zur Zäsur werden. Womöglich kann das Potsdam Museum endlich wieder mehr Gesicht zeigen. „Die Ablehnung von Extremismus, Diskriminierung und Rassismus“ sei „Grundlage unseres Handelns“, heißt es von dort. Direktor Thomas Steller sagt jedoch, er könne noch nichts Konkretes sagen. 2024 werde man sich „in einen strategischen Prozess begeben, indem die Museumskonzeption aktualisiert und konkretisiert wird“. Es ist nicht zu früh.

Heike Bohmann, Geschäftsführerin des Nikolaisaals Potsdam.

Heike Bohmann, Geschäftsführerin des Nikolaisaals Potsdam.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Das Museum Barberini bezieht sich für gewöhnlich lieber allgemein auf das Verbindende in der Kunst, als sich konkret zu äußern. Nun aber ist zu hören, die Frage „Was tun für die Demokratie?“ werde derzeit „sehr diskutiert“. An möglichen Formaten werde gearbeitet. Und in einem Statement heißt es: „Wir wenden uns gegen jede Form der Ausgrenzung, Intoleranz und nationalistischen Verengung, die den freiheitlichen Rechtsstaat gefährden.“ Mehr noch: „Demokratische Prinzipien müssen täglich neu vertreten und gelebt, Rassismus und Menschenfeindlichkeit muss täglich widersprochen und bekämpft werden.“

Das sagt auch Heike Bohmann, Geschäftsführerin des Nikolaisaals. Was genau das für das Programm bedeutet, könne auch sie noch nicht sagen. Bohmann zögert jedoch nicht, von einer Zäsur zu sprechen. Nicht nur in der Programmplanung, sondern in der Positionierung des Hauses insgesamt. „Früher war der Nikolaisaal politisch neutral. Das ist jetzt vorbei. Es ist nicht die Zeit, neutral zu sein. Es ist die Zeit, um den Mund aufzumachen.“ Eine Abkehr von der Unterhaltung bedeute das nicht per se, aber: „Wer jetzt auf 100-prozentige Unterhaltung setzt, sieht die Welt nicht, in der wir leben.“

Quelle: PNN / Tagesspiegel Online vom 19.01.2024

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