2023-10 Feuerwehrmagazin | Potsdamer Erfinderschmiede

Potsdamer Erfinderschmiede

Pressluftatmer-Attrappen zum Üben für die Jugendfeuerwehr existieren viele. Sie können über diverse Anbieter erworben oder selbst gebaut werden. Die JF Babelsberg-Klein Glienicke entwickelte zusammen mit dem Wissenschaftsladen Potsdam e. v. sowie Studenten der Uni Potsdam ein bezahlbares Modell mit Teilen aus dem 3D-Drucker.

In Babelsberg-Klein Glienicke, dem nordöstlichsten Ortsteil der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam, sind die 18 Angehörigen der Jugendfeuerwehr (JF) gerne erfinderisch tätig. Bereits im März 2020 kam hier die Idee auf, ein neues, kostengünstiges Übungsgerät zu entwickeln. Durch eine vorherige Zusammenarbeit bestand Kontakt zum gemeinnützigen Verein des Wissenschaftsladens Potsdam. Mithilfe dieses unabhängigen Projekts zur Vermittlung von unter anderem Naturwissenschaft, Technik, Umweltwissenschaft und Ökologie konnte das Vorhaben „Konstruieren von Pressluftatmer-Attrappen für die Jugendfeuerwehr“ beginnen.

„So realitätsnah wie möglich, damit sich Kinder und Jugendliche noch besser auf zukünftige Aufgaben bei der Feuerwehr vorbereiten können‘, nennt Sebastian Gimpel die Zielsetzung. „Mit dem Übungsgerät kann eine Gesamteinsatzsituation nach gestellt werden: vom Aus rüsten auf dem Fahrzeug bis hin zum Ablegen des Gerätes mit entsprechender Schwarz Weiß-Trennung‘, berichtet der bei der Feuerwehr Potsdam zuständige Mitarbeiter im Bereich Gefahrenvorbeugung und Katastrophenschutz. Wie viele andere ist Gimpel begeistert von dem Produkt, das nach einer intensiven Entwicklungs- und Testphase herausgekommen ist

Unter Projektleitung der JF befanden sich im permanenten Austausch:

  • Die vom Wissenschaftsladen Potsdam e. V. betriebene „machBar“. In dieser offenen Werkstatt können computergesteuerte Fertigungsverfahren und digitale Tech nologien für handwerkliche Produkte genutzt werden.
  • Studenten der Wirtschaftsinformatik der Universität Potsdam, die die Bauanleitung erstellten und Tragemöglichkeit und Handhabung des Gerätes evaluierten.
  • Die Feuerwehr der Landeshauptstadt, die das Projekt unterstützte und dafür die Pressearbeit übernahm.

Teile aus Baumarkt und 3D-Drucker

Aktuell auf dem Markt ver fügbare Nachbildungen von Pressluftatmern ¶ seien im mer noch zu teuer, so der stell vertretende Jugendfeuerwehr wart der JF Babelsberg-l(leinf_äj Glienicke, Jens Heinemann. Rund 180 Euro koste ein Gerät über Anbieter im Internet. Die se hohen Beschaffungskosten waren Ansporn für seine 1999 gegründete Gruppe. „Außer dem gibt es für Selbstgebautes eine größere Wertschätzung. Wenn es ihre eigene Konstruk tion ist, gehen Jugendliche einfach anders damit um‘, so Heinemanns Erfahrung. Ihre Entwicklung soll außerdem für Interessierte anderer Wehren niedrigschwellig nachbaubar und gerade dadurch günstiger sein. Weitere Erwartungen an das Modell schon zu Projekt beginn: Hochwertigkeit sowie variable Einsetzbarkeit. Die Projektarbeiten zogen sich zwischen März 2020 und November 2022 hin. Durch Covid-19 habe es zeitliche Verzögerungen gegeben, erzählt der stellvertretende Jugendfeuerwehrwart. Etwa 2,4 Jahre vergingen, bis die Babels berg-Klein Glienicker Vision Wirklichkeit werden konnte. In dieser Zeit gab es viel zuE tun: Ideen sammeln,

PA vermessen, dann prüfen, welche Materialien geeignet sind und welche Vorgaben der Jugendschutz stellt. Als nächstes die technischen Voraussetzungen schaffen. Programmieren eines 3D-Druckers sowie erste Probedrucke, anschließend Detailanpassungen sowie Justierung der Materialien.

Kernstück für das Gerät ist ein Abflussrohr mit einem Durchmesser von 150 Millimetern aus dem Baumarkt, das die Flasche simuliert. Über die Bauanleitung per Datei kommen aus D dem 3D-Drucker: die Kappe drn oben inklusive Verschluss mit Gegenstück, die Rundkappe unten, der Flaschenhals mit Ventil sowie die Verschraubung für die Rückenplatte. Alle Teile müssen, frisch ausgedruckt, von ihrer Stützkonstruktion befreit und mit Feile und Cutter etwas nachbearbeitet werden.Anschließend werden eine PVC-Platte per CNC-Fräse als Trägerplatte zurechtgeschnitten sowie die Halterung zusammengebaut und -geklebt. „Als Bebänderung dient bei uns ein ehemaliger Gitarren-Tragegurt.
Optional lässt sich auch noch ein Beckengurt hinzufügen‘, so Heinemann.

Wer keinen eigenen 3DDrucker zur Verfügung habe, könne den Nachbau über offene Werkstätten wie der machBar verwirklichen lassen, erklärt Gimpel. „Hier kann jeder mit Ideen zu den Betreibern kommen und diese in den Werkstätten mit CNC-Fräsen, Werkbänken und 3D-Druckern umsetzen. In der Regel müssen nur Materialkosten bezahlt werden.“ Diese belaufen sich auf rund 70 Euro pro Ausführung, berichtet der stellvertretende Jugendfeuerwehrwart.

Vier Testgeräte konnten in der ersten Jahreshälfte 2023 hergestellt werden. Die jungen Tüftler nahmen weitere Anpassungen an Materialien und Design vor und behoben Fehler anhand der Erkenntnissen aus dem Praxistest.

Authentisch üben möglich

Anfang Juli 2023 präsentierten die Mädchen und Jungen das Modell. Derzeit existieren acht Geräte: neben vier Stück in Babelsberg-Klein Glienicke die gleiche Anzahl bei der Partnerjugendfeuerwehr Jatznick (MV, Kreis VorpommernGreifswald). Toller zusätzlicher Upcycling-Aspekt: Die Mutter eines JF-Mitglieds nähte extra Überziehhauben aus ausrangierten Blousons. Damit sind die PA-Attrappen auch rein E optisch ein Hingucker. n Henning Hagen, Bereichsleiter Gefahrenabwehr und stellvertretender Feuerwehrchef in Potsdam, zeigt sich ebenfalls beeindruckt vom BabelsbergKlein Glienicker Erfindergeist: „Durch die neuen Gerätschaften bietet sich die Möglichkeit, Übungen durchzuführen, die noch näher an echten Einsatzsituationen angelehnt sind und die spezifischen Anforderungen beim Tragen eines Atemschutzgerätes noch besser vermitteln.“ „Das Gerät ist gerade mal 3 Kilogramm schwer und entspricht damit den Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes. Darüber hinaus lässt es sich schnell und problemlos für den Träger individuell a anpassen‘, benennt stellvertretender Jugendfeuerwehrwart Heinemann weitere Vorteile.
Die „Flasche“ könne aufgeschraubt und für ältere Mädchen und Jungen mit Gewichten beschwert werden. „Bei der Nutzung erfahren JF-Mitglieder, wie es ist, mit einem eingeschränkten Bewegungsradius zu agieren‘, sagt Gimpel. Beispielsweise bei Übungen zu Löschangriffen, bei der Personenrettung oder beim Übersteigen des obersten Steckleiterteils in ein Fenster. Über die frei abrufbare Bauanleitung unter www.machbar-potsdam.de oder bei der Feuerwehr Potsdam können nun alle Jugendfeuerwehren mit dem richtigen Equipment und etwas Geschick die Geräte nachbauen. Beispielsweise in einem Herbst- oder Winterdienst. ”

Text: Sebastian Liedtke, Redakteur Feuerwehr-Magazin, Fotos: JF Babelsberg-Klein Glienicke

Quelle: Printausgabe Feuerwehrmagazin 10/2023 (Link zur Bestellseite des Magazins)

2023-10_Feuerwehrmagazin_Pressluft_3D_Drucker.pdf (1,1 MB)

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