2023-09-11 PNN | Politischer Jazz: Neues Album von Der singende Tresen

Politischer Jazz: Neues Album von Der singende Tresen

Die Band hat in Krisenzeiten ihr sechstes Album veröffentlicht und in Potsdam vorgestellt. Es ist eine gewaltige musikalische Erzählung.

Von Oliver Köhler

10.09.2023, 13:17 Uhr

Gleich in den ersten Takten begegnet man dem sonoren Brummen, dessen faszinierend unterschwelligem Klang man im Laufe des Albums vollends erliegen wird: der Bassklarinette von Thorsten Müller. Diese seltsame Riesenklarinette wird den Singenden Tresen wie ein guter Geist durch ein ganzes Album begleiten. „Alles was der Fall ist“, das nunmehr sechste Studioalbum des 2001 gegründeten Quintetts aus Berlin um Sängerin und Autorin Manja Präkels, wurde soeben veröffentlicht. Am vergangenen Donnerstag gab es das Record-Release-Konzert im „Haus zwei“ im Potsdamer Freiland dazu.

Es ist ein ungewöhnlich tiefes Album geworden: „Eine Platte ist eigentlich eine Momentaufnahme, so haben wir es immer gehalten“, sagt Komponistin und Lyrikerin Manja Präkels, die man als den Kopf der Band bezeichnen muss. „Nun haben wir eine Pandemie, wir haben Krieg – und eine neue Platte.“ Und ja, die kommt gewaltig: „Ich rede wie die Irren reden“, raunt Präkels fast wie olle Hilde Knef im Opener „Hört weg!“, ein Text der ostwestdeutschen Lyrikerin Christa Reinig.

Die Interpretation fremder Texte ist Teil des Oeuvres der Band. Der Hausgeist Erich Mühsam findet sich dieses Mal jedoch nicht auf dem Album, wohl aber Wolfgang Borchert. „Ich habe festgestellt, dass mich dessen Bücher lange verfolgt haben“, so die Sängerin.

Der Singende Tresen

ist eine von Sängerin Manja Präkels 2001 gründete Band. Für ihren autobiografischen Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ über die Nachwendezeit in der brandenburgischen Provinz wurde sie 2018 mit dem Anna Seghers Preis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Das Gros der Lyrik stammt von Präkels selbst. Im Titelsong „Alles was der Fall ist“ wabert ein monotoner Synthesizer zur Stimme, das Stück könnte in seinem reduzierten, trio-minimalistischem Duktus auch auf einem NDW-Album zu finden sein, wenn der Text nicht so gewichtig wäre. Auch bei „Woandershin“: Langsam mäandert sich der jazzige Klang um die Stimme: „Fremde, wenn du kannst, dann fahr woandershin. Oder nimm mich mit.“ Und dann gibt es wieder Krautrock-Hommages wie in „Zombies“, das sich immer wieder von choralen Dissonanzen einrahmen lässt. Da sind die Jazz-Elemente gänzlich ausgeklammert.

Genau davon lebt die Band: Es gibt wiederkehrende Elemente wie die Bassklarinette von Thorsten Müller oder das federleicht-treibende Schlagzeug von Johannes Metzger, aber kein Song kann mit einem anderen verwechselt werden. Und es ist die Haltung, die auf poetischer Ebene den Anker der Band darstellt. Jazz ist eben immer auch politisch. Ein ergreifendes Album, das man nicht überhören kann.

Quelle: PNN Online vom 10.09.2023

2023-09-11_PNN_Singende_Tresen.pdf (240,0 KB)

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