2016-11-07 MAZ Graffitikunst am Trafohäuschen

Graffitikunst am Trafohäuschen

Ronny Bellovics 1997 bei der Arbeit an dem Wandbild am Schilfhof 20.

Die Geschichte der Potsdamer Graffitifirma Art-Efx begann 1997 mit einem internationalen Sprayerwettbewerb im Schlaatz. Als „Urban Youth“ begannen sie damals mit der künstlerischen Gestaltung von Häuserwänden. 2003 als Art-Efx neu gegründet, entdeckten sie die Gestaltung von Trafohäuschen als neues Geschäftsfeld. Mittlerweile sind sie international unterwegs.

Potsdam. „I’m just writing my name“ – ich schreibe nur meinen Namen – ist in großen Lettern zwischen nächtlichen Stadtlandschaften, Schnellbahnen, Göttern, Hip-Hoppern und Polizisten die zentrale Botschaft des wandfüllenden Graffitigemäldes am Sockelgeschoss des Hochhauses Schilfhof 20. Im Mai 1997 gewannen Manuel Busch, Markus Ronge und Ronny Bellovics mit dieser über zwei Wochen entstandenen Arbeit einen Preis beim ersten Potsdamer Graffitiwettbewerb, der damals auf Initiative des Jugendzentrums „Alpha“ ausgetragen wurde. Es sollte der Auftakt einer für Graffitikünstler beispiellosen Karriere werden.

Aufgewachsen sind sie alle am Schlaatz. „Wir haben die komplette Jugend dort verbracht“, sagt Bellovics (38). Mit Ronge war er schon 1984 zur Einschulung in einer Klasse, gemeinsam besuchten sie später den Kunst-Zirkel im Jugendfreizeitzentrum „Alpha“. Gemeinsam mit Manfred Ritzau, dem Leiter des mittlerweile im „Alpha“ etablierten Bürgerhauses organisierten sie 1997 den Internationalen Graffitiwettbewerb. Danach ging es schnell. Die Gewoba bot den Jungkünstlern die Gestaltung von Hausdurchgängen und Giebeln an. Später kamen Haltestellen des Verkehrsbetriebes hinzu: „Potsdam war unser Mikrokosmos“, sagt Bellovics.

Politisch wurde seine Arbeit spätestens im Jahr 2000, als er auf Anregung des damaligen Oberbürgermeisters Matthias Platzeck (SPD) als Graffiti-Experte in die städtische Sicherheitskonferenz eingeladen wurde und die Errichtung spezieller Wände als legale Betätigungsmöglichkeit für Sprayer vorschlug. Die erste legale Wand errichteten sie in der Nähe des Bürgerhauses. „Sie wurde leider eingerissen. Wir haben sie noch einmal gebaut und dann zwei Nächte lang Wache gelegen.“ Die Mauer steht heute noch und ist bedeckt von unzähligen Farbschichten.

Bis 2003 arbeiteten sie unter dem Firmennamen „Urban Youth“. Dann ging Busch und Christian Hipp kam hinzu, „ein langer Freund von uns, der das gleiche schon in Ulm gemacht hatte“. Sie gründeten eine neue Firma, „Art-Efx“, die mit dem Energieversorger Eon-Edis zur Arbeit erstmals auch ins Umland zog. Bellovics ist sicher, dass sie bundesweit, „wenn nicht sogar europaweit“, die ersten waren, die Trafohäuschen künstlerisch gestalteten. Der Prototyp, ihr erster Auftrag noch aus dem Jahr 2003, steht an der Potsdamer Allee kurz vor Stahnsdorf und hat mit der Stabholzkirche und dem Zillegrab als Motiv mittlerweile den Status eines Wahrzeichens, wie Bellovics selbstbewusst sagt.

Heute ist die Gestaltung von Trafohäuschen das, so Bellovics, „Brot- und Buttergeschäft“ von Art-Efx, die das Gros ihrer Aufträge längst nicht mehr in Brandenburg und Berlin, sondern in entfernteren Bundesländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen abwickeln und neue Märkte in der Schweiz und in Österreich sondieren. Kontakte gibt es selbst nach Australien und Südafrika, denn Trafokästen haben sie überall. 5000 Auftraggeber hat die Firma mittlerweile. Die Anzahl der Mitarbeiter ist auf 21 angewachsen, darunter sind vier Auszubildende.

In den ersten Jahren hatte Bellovics die Geschäfte noch im Wohnzimmer abgewickelt, doch 2012 bezogen sie mehrere Büros im Guido-Seeber-Haus, dem großen Technologie- und Gründerzentrum am Eingang der Medienstadt Babelsberg. Neue Mitarbeiter würden von Art-Efx immer gesucht, sagt Bellovics: „Wir könnten zehn Leute mehr einstellen.“

Trafohäuschen sind das Brot für Art-Efx, Hausfassaden hingegen immer wieder etwas besonderes. Die größte Wand des Jahres mit 100 Meter Breite und 33 Meter Höhe gestalteten sie an einem Block in Alt-Glienicke. Dort stehen nun bunte Ballons am Himmel. Jüngste Arbeit in Potsdam ist die Giebelwand eines Wohnblocks in Waldstadt II, auf der nun eine gewaltige Kiefer durch Balkons hindurch zu wuchern scheint. Komplettiert wird das auf den ersten Blick irritierende Bild durch einen Mann, der auf einer Leiter zum ersten Balkon hinauf klettert. Doch keine Sorge, das ist alles nur Illusionsmalerei.

Die nächsten größeren Aufträge am Schlaatz stehen 2017 mit der Gestaltung von Giebeln für die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft am Wiesel- und am Otterkiez sowie für die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft „Karl Marx“ am Schilfhof an. Die Motive, soviel verrät Bellovics schon mal, sollen sich an den Namen der Wohnadressen orientieren.

Mehr als 20 legale Adressen für Sprayer in Potsdam
Legale Betätigungsmöglichkeiten für junge Sprayer waren immer wieder ein Thema für die Kommunalpolitik. Mittlerweile gibt allein auf städtischen Grundstücken mehr als 20 legale Graffitiflächen. Drei davon stehen am Schlaatz. Neben der Graffitiwand neben der Medienwerkstatt gibt es eine legale Wand am Spielplatz Wieselkiez und drei am Spielplatz Falkenhorst.
Die um 2000 aus dem „Urban-Youth“-Team geäußerte Anregung legaler Sprayerwände bekam eine Generation später im Jahr 2008 neue Aktualität, als mit der Sanierung der Schiffbauergasse auch Mauern weggerissen wurden, die dort über Jahre von der Szene genutzt wurden. Für besondere Kritik sorgte, dass die Wand des neu errichteten Kesselhauses am Waschhaus nicht für Sprayer freigegeben wurde.
Schließlich fand sich die Einrichtung legaler Graffitiwände auch im Forderungskatalog der Ende 2008 formierten Arbeitsgruppe Alternative Jugendkultur in Potsdam (AJKP), die sich nach einer Reihe von Schließungen und Insolvenzen von Traditionsclubs und Freizeiteinrichtungen wie dem Waschhaus, dem Lindenpark, dem Spartacus-Club und der Skaterhalle an der Kurfürstenstraße gegründet hatte.
Zu den beliebtesten Adressen für Sprayer gehören heute die Jugendaktionsfläche am Bassinplatz und die Wände auf dem Freiland-Gelände. Eine Übersicht gibt es im Internet auf der Seite Legale Graffiti-Flächen in Potsdam | Landeshauptstadt Potsdam
Von Volker Oelschläger

http://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam/Graffitikunst-am-Trafohaeuschen
2016-11-07 MAZ Graffitikunst am Trafohäuschen.pdf (102,1 KB)