2016-08-18 PNN Das Glück nicht suchen. Greifen

Das Glück nicht suchen. Greifen

Das Ufer am Tiefen See im Park Babelsberg saugt einen in eine andere Welt: Der Sand flüstert „Urlaub“, die Bäume rauschen. Foto: J. Bergmann

In der Sommerreihe Potsdamer Ufer stellen wir besondere Orte am Wasser vor. Heute führt der Weg in eine Nische – zwischen Humboldtbrücke und Strandbad Babelsberg.

Potsdam - Der Babelsberger Park ist cool. Er ist auch: ein bisschen das, was die anderen Parks in Potsdam nicht sind. Hierher kommen weniger Touristen, hier geht es nicht ums Sehen und Gesehen-Werden wie am nördlichen Ufer des Heiligen Sees. Hier kann man einfach sein. Oder verschwinden. Zumindest so halb.
Eine winzige Stelle ist das, noch gar nicht richtig Park, und fast ganz verschwunden unter rauschenden Weiden. Wucherndem Grün. Darüber braust der Verkehr auf der Humboldtbrücke, die Havel hingegen braust nicht, sie schwappt ganz flach und leise ans Ufer. Wer hier badet, muss erst einmal waten. Manchmal glaubt man, schon fast am Hans Otto Theater, auf der anderen Seite, angekommen zu sein, bevor man den ersten Zug schwimmt.
Von kaum einer Seite sieht man richtig, was sich in dieser Nische zwischen den Treppen, die von der Brücke herabführen, und dem eigentlichen Parkeingang versteckt. So zugewachsen ist die Datscha, als würde sie sich die grüne Decke über den Kopf ziehen und sagen: Guckt, ich bin gar nicht da. Ich störe auch keinen.
Der Wille, es sich schön zu machen, auch wenn nichts da ist
Und es stimmt ja. Stören tut sie keinen. Aber sie ist da. Und sie steht für vieles, was Potsdam über lange Jahre auch geprägt hat. Nicht unbedingt optisch, aber atmosphärisch: Der Wille und die Energie, es sich schön zu machen, auch wenn eigentlich nichts da ist. Kein Geld, kein Material, kein Platz, kein Weg. Einfach machen. Den Moment auskosten. Das Beste aus ihm herausholen. Ohne großes Gewese. Das sieht von außen manchmal widerständig aus, im Grunde aber ist dieser Geist einfach nur das tiefe Verständnis dafür, dass man nicht immer auf das Glück warten kann. Das man es direkt vor der Nase hat, wenn man nur zupackt.
Unprätentiös eigentlich, aber wer mal an einem warmen Sommerabend im Tiefen See geschwommen und danach hinüber in die Datscha geschlendert ist zum Konzert irgendeiner Band oder einer der Partys, der weiß, wie viel Zauber darin liegt.
Alles kann jederzeit wieder vorbei sein
Vielleicht, weil dieser Ort, diese kleine Datscha mit ihren bunt besprühten Wänden, ihrem leicht schiefen Weg durch den Garten, auf Sand gebaut ist. Faktisch, weil hier das Ufer tatsächlich aus feinstem märkischem Sand besteht. Aber auch, weil diese Enklave auf Grund liegt, der der Stadt gehört. Inmitten des großen und stolzen Welterbes. Das heißt auch: Alles kann jederzeit auch wieder vorbei sein. Und das Fragile, das potenziell Flüchtige liebt man dann eben doch immer am intensivsten.
So könnte es auch mit dem werden, was neben dem La-Datscha-Grundstück gerade entsteht. Auf seiner Seite zur Brücke hin, und beschirmt von einem Baum. Da drehen sich gerade in der Mittagshitze die Betonmischer, zwei Rampen schwingen sich dem Himmel – oder besser: der Baumkrone – entgegen. Eine Halfpipe zum Skaten wird hier aufgebaut, von Leuten, die gerne skaten. So gerne reden sie mit der Presse nicht, obwohl sie nichts Schlimmes machen. Aber der Boden, auf dem sie die Halfpipe nach ihren Wünschen und – ja, auch ihren Ansprüchen – als Skater bauen, gehört der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten. Die will da vielleicht einen Busparkplatz bauen, vielleicht aber auch weiter hinten. Auf jeden Fall waren heute morgen ein paar Leute da, die darauf bestanden haben, dass die Halfpipe wieder abgebaut wird, noch bevor sie tatsächlich da ist.
Der Traum vom kleinen Abenteuerspielplatz
Dabei, meinen die Anfang-Zwanzig-Jährigen, die hier gerade in der Sonne sitzen, Kaffee trinken, Pause machen, wäre es gar kein Problem, auch die fertige Pipe sofort wieder abzubauen, wenn sie tatsächlich im Weg ist. Solange aber, davon träumen sie, soll sie zusammen mit dem Beachvolleyballfeld, das gleich daneben liegt, und einer Boulderwand an ihrer Rückseite zu einem kleinen Abenteuerspielplatz werden. Der Krach der rollenden Skateboards wird hier ohnehin von den auf der Brücke vorbeirollenden Autos überlagert, sonst ist hier weit und breit erst mal niemand. Es ist klar: Sie wollen keinen Streit, nicht mit der Stiftung, nicht mit der Stadt. Vielleicht, meinen sie, findet sich ja eine Lösung.
Dabei geht es am Ende wohl vor allem um die Frage der Haftung. Was, wenn sich jemand auf dem Gelände verletzt? Wer ist dann verantwortlich? Die Stiftung als Grundstückseigentümer? Auch dafür gibt es doch ganz pragmatische Lösungen, sagen sie. Ein Schild, „Benutzung auf eigene Gefahr“, wäre das Einfachste, sagen sie.
Cool wäre es auf jeden Fall. In wie vielen Städten kann man wohl sonst im Weltkulturerbe nicht nur bedächtig wandeln, sondern auch Kultur weiterleben – und voller Glücksgefühle im Bauch in die Luft springen?
Von Ariane Lemme

http://www.pnn.de/potsdam-kultur/1105100/
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