2014-05-08 PNN Abrechnung mit dem Prinzip V-Mann

Abrechnung mit dem Prinzip V-Mann

Kritik am Verfassungsschutz. Das Nö-Theater überwacht zurück. Foto: René Strammber

Das Kölner Nö-Theater lieferte im Spartacus eine bitterböse Show zum Thema Verfassungsschutz. Ein bisschen weniger Zeigefinger hätte dem Stück aber nicht geschadet.

Mit guten Absichten ist das in der Kunst so eine Sache. Wer etwas bewegen will, die Verhältnisse verändern, die Menschen wachrütteln – der macht meistens Politik und keine Kunst. Auch dann, wenn die Politik als Theaterstück verkleidet daherkommt, wie beim Nö-Theater aus Köln, das am Dienstagabend im Spartacus mit seinem Stück „V wie Verfassungsschutz“ zu Gast war, einem pointierten Dossier der peinlichsten Pannen.

Über all die Verstrickungen und Vertuschungen der Behörden in Sachen NSU sind frühere Skandale ja schon beinahe verblasst – aber nicht beim Nö-Theater. Mit verspiegelten Ray-Ban-Sonnenbrillen und Trenchcoats mit hochgeklappten Kragen erklärten die drei Schauspieler Talke Blaser, Asta Nechajute und Felix Höfner Schritt für Schritt, wie der Laden funktioniert – oder eben nicht. Nach dem Prinzip Kabarett folgten sie keiner stringenten Story. Stattdessen schlüpften sie in die Rolle der allerbräsigsten, allerselbstgefälligsten Geheimdienstler und demontierten mit jeder Szene das Bild von der notwendigen Behörde ein bisschen mehr.

Mag sein, dass sie im gut gefüllten Spartacus zu den Bekehrten predigten, andererseits halten drei Viertel der Deutschen den Inlandsgeheimdienst für unverzichtbar – sagt zumindest der Verfassungsschutz. Das Spartacus eröffnete mit dem Stück hingegen eine kritische Veranstaltungsreihe zum Thema – aus aktuellem Anlass: Wie im vergangenen Dezember bekannt geworden war, hat der brandenburgische Verfassungsschutz mehrere Besucher des Jugendklubs überwacht – als Anlass genügte der Behörde offenbar der Besuch bestimmter Veranstaltungen. Nur fair also, den Spieß ein wenig umzudrehen und dem eigenen Publikum ein bisschen mehr über die Methoden des Geheimdienstes beizubringen. Und das machte das Nö-Ensemble gründlich.

Das Behördenversagen im Fall von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die trotz V-Männern in ihrem direkten Umfeld untertauchen und jahrelang mordend durchs Land ziehen konnten, bildeten nur den Rahmen. Dazwischen lieferten die Schauspieler einen bitterbösen, vor Zynismus teilweise triefenden Ritt durch die Geschichte des Verfassungsschutzes. Da tauchte natürlich der Mord an Ulrich Schmücker auf, der Anfang der 1970er-Jahre V-Mann in der linken Szene war. Der Fall wurde nie gelöst, es stellte sich aber heraus, dass der Verfassungsschutz die Tatwaffe 15 Jahre vor Polizei und Justiz verborgen gehalten hatte. Dann all die Skandale um Agents Provocateurs, also vom Verfassungsschutz bezahlte Krawallmacher. Peter Urbach etwa war so einer, ein V-Mann, der bei den Protesten vor dem Springer-Gebäude in Berlin 1968 Molotow-Cocktails verteilte. Wozu man solche Agents Provocateurs braucht? Wie soll der Staat denn sonst wissen, wie gewaltbereit die extremistischen Szenen sind – oder, wie es die Schauspieler als Frage ans Publikum formulieren: „Wann lachen Sie im Theater – dann, wenn andere lachen? Gehen Sie, wenn andere gehen?“ Huhn oder Ei also.

Ja, das Stück dröselt ein grundsätzliches Problem des Verfassungsschutzes auf: Wie irrwitzig dieser Kreislauf von Geld und Information zwischen V-Männern und ihren Führern ist, wie groß die Gefahr für den Staat, extreme Aktionen dadurch gleich selbst zu finanzieren. Wirklich neu ist das nicht, aber so kompakt präsentiert natürlich schon beeindruckend. Und klar, man kann versuchen, beides zu verbinden: Die Kunst und die Didaktik, Brechts episches Theater zielte ja schließlich auch darauf ab, die Welt zu verändern. Und klar, man kann auch Politik sehr unterhaltsam vermitteln, das sollte man sogar. Man darf aber seinem Publikum auch ein bisschen mehr Abstraktionsvermögen zutrauen. Die Empörung über geheimdienstliche Schludereien wäre bestimmt nicht geringer, wenn sie einem nicht ständig auf dem Silbertablett präsentiert werden.
Von Ariane Lemme

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