2008-10-16 PNN - Rettungsmanöver

Rettungsmanöver

Heute beginnen Runde Tische zur Zukunft von Jugend- und Soziokultur in Potsdam. Gerade für die vielfältige alternative Szene scheint die Situation prekär

Von Henri Kramer

Der Archiv-Club vor der Sperrung; ein Abbruchhaus in der Johannsenstraße als vorgeschlagener Ersatz für das geschlossene Spartacus-Jugendhaus; dazu eine besetzte Villa am Babelsberger Park …

Der Themen sind es viele, wenn heute gerade auch für die Zukunft der Potsdamer Alternativkultur möglicherweise entscheidende Tage beginnen. An Runden Tischen sollen Veranstalter, Initiativen und die Verwaltung dabei darüber diskutieren, wohin viele Potsdamer Jugendliche und junge Erwachsene noch gehen können, wenn sie zum Beispiel abends für wenig Geld feiern wollen. Der Auftakt zu den Gesprächen findet ab 18 Uhr im Alten Rathaus statt. „Auch die Alternativszene ist herzlich dazu eingeladen“, sagte gestern Birgit-Katharine Seemann, die den Fachbereich Kultur in der Stadt leitet. Einladungen zur Teilnahme seien unter anderem an Spartacus e.V., Archiv e.V. und an die Besetzer der Villa Wildwuchs gegangen. „Wir möchten ein verbindliches Handlungskonzept erarbeiten, wie es mit der Sozio- und Jugendkultur in Potsdam weitergeht“, sagte Seemann. Dazu werden Arbeitsgruppen gebildet, die ein halbes Jahr lang regelmäßig tagen sollen.

Doch ob und wie sich gerade die nur bedingt staatsmännisch agierenden Alternativkultur-Initiativen in diesen Gesprächen einbringen können und wollen, gilt als unklar. Denn Teile der Potsdamer Alternativ-Szene haben offenbar das Vertrauen in die Stadtpolitik verloren.

Beispiel Villa Wildwuchs. „La Datscha, Produkt eurer Ignoranz“ – in großen Buchstaben hängt dieses Transparent seit Tagen über dem Gelände neben der Humboldtbrücke. Seit Ende September ist das Haus besetzt. Die vergangene Woche brachte für die neuen Nutzer zudem die Gewissheit, dass sie zunächst offenbar weiter mit Duldung rechnen können. In dem Gebäude bestehe keine Verletzungsgefahr, hieß es nach einem Besuch der Bauaufsicht. Nun beginnt für die vornehmlich 20- bis 30-jährigen Besetzer die Konzeptarbeit, was aus dem Standort werden soll. Noch ist die Unsicherheit offenbar groß, wegen Vorbehalten gegen „die Presse“ werden Journalisten weggeschickt. Erst morgen soll es eine „im Konsens“ der Gruppe verfasste Erklärung geben. Was klar scheint: „La Datscha“ ist als eine Art Wohnzimmer mit großem Garten vorgesehen. Ein Ort für Gespräche und Lesungen, für Nachwuchs-Konzerte, für Alternativ-Kino. Morgen kommt die Drogenprävention vom Verein Chillout e.V. zu einem Themenabend, danach gibt es Elektroklänge. Von einem „selbst organisierten unkommerziellen Projektraum“ ist auf den Flyern die Rede. Also ein Raum ohne Beteiligung der Stadtverwaltung: Wer braucht da einen Runden Tisch?

Der Einladung zugesagt hat dagegen der Spartacus e.V., wie gestern Vereinssprecher Achim Trautvetter sagte: „Die Diskussion wird zwar schwierig, weil sehr viele Akteure eingeladen sind – aber auch spannend.“ Dem Verein gehe es vor allem darum, wo und wie sich die Spartacus-Idee in der Kultur-Szene von Potsdam „verorten“ könne.

Unklar ist jedoch, inwiefern sich etwa der Archiv e.V. an der Diskussion um die Soziokultur beteiligen will. Mehrmals hat der Trägerverein des alternativen Jugendzentrums in der Leipziger Straße ein gewährtes Rederecht im Kulturausschuss verstreichen lassen. „Ich weiß nicht, ob jemand von uns kommt“, sagte gestern einer der Akteure des Hausprojekts.

Dabei droht den Konzert- und Probenräumen des Hauses die Sperrung: Kurz nach der Kommunalwahl hat die Feuerwehr mehrere Brandschutzmängel festgestellt. Über die Konsequenzen muss nun die Bauaufsicht entscheiden. Würde gesperrt, bricht der Veranstaltungsbetrieb zusammen. Allein bis Monatsende sind acht Konzerte und Partys geplant. Doch offenbar nicht alles läuft so geschmiert wie die Kultursparte. So sieht der Kommunale Immobilienservice (KIS) bei dem Archiv-Verein auch Versäumnisse: Dieser habe sich nicht genügend um die vertraglich zugesicherte Sanierung des Hauses gekümmert, für die es Mietfreiheit gab, heißt es. Daraus folgert ein Politiker aus dem Werkausschuss des KIS: „Vielleicht muss man von dem Verein ganz normal Miete verlangen und Kulturförderung geben, statt ihn mit Bauarbeiten zu überfordern.“ Auch solche Positionen werden an den Runden Tischen zu diskutieren sein.

Quelle: PNN vom 16.10.2008