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Jugendliche haben die abenteuerliche Geschichte des „Archiv“-Jugendzentrums aufgeschrieben

Das Erlebnis klingt lebensgefährlich. Ein Punk erzählt, wie auf dem Hof des alternativen „Archiv“-Kulturzentrums beinahe eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg explodierte – in den 1990ern, als das Haus in der Leipziger Straße noch besetzt war. Auf dem senkrecht im Boden steckenden Sprengkörper sei damals noch Lagerfeuer gemacht worden, „deswegen ist die Büchse nämlich hochgegangen“. Denn: „Irgendwann sprühte es da raus und hörte auch nicht mehr auf.“

Das Interview zu diesem Erlebnis steht in einer Broschüre zur Geschichte des nach erfolgreicher Teilsanierung inzwischen wieder geöffneten Kulturzentrums. Am Samstag wurde sie beim 10. Jugendgeschichtstag im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte präsentiert. Erstellt haben das Heft Jugendliche aus dem „Clubmitte“ im Freiland-Areal, unter anderem Anne Linsicki, Lorenz Eisenreich und Frederick Seger.

Die drei haben viel bisher öffentlich Unbekanntes herausgefunden – wie die Sache mit der angefackelten Bombe. Der Punk, laut Broschüre heißt er Torsten, berichtet weiter: „Wir haben dann irgendwie versucht, das zu löschen – naja ging halt nicht.“ Von einer Telefonzelle rief man die Feuerwehr. „Die kamen an, waren noch nicht mal richtig auf dem Hof und haben gleich gesagt: Alles evakuieren!“ Ein Kampfmittelräumtrupp entschärfte die Bombe schließlich.

Die Erforschung der „Archiv“-Geschichte war am Samstag eines von 30 Projekten beim Jugendgeschichtstag, der zum Jugendprogramm Zeitensprünge gehört. Dafür erhalten Jugendteams 1250 Euro Projektförderung, um Details der Geschichte ihrer Region zu recherchieren und dazu Zeitzeugen zu befragen. Dabei forschten Kinder aus dem Schlaatz, wie sich die Medien im Wandel der Zeit verändert haben. „Das digitale Ich, Wir, Sie“ heißt ihr Ergebnis aus mehreren Interviews, die zum Anhören bereitstehen. Die zehn- und elfjährigen Forscher wollten zum Beispiel wissen, ob heutzutage noch Briefe geschrieben werden oder wie sich Handy- und Internetnutzung verstärkt haben.

Die Jugendlichen aus dem „Clubmitte“ zeichneten die komplette Historie des „Archivs“ nach – von der königlichen Hofbrauerei bis zum Kulturzentrum. Einer der früheren Besetzer ist der heutige Linken-Stadtverordnete Michel Berlin. Er erinnert sich im Interview unter anderem daran, wie das Archiv 1994 besetzt wurde – das zu DDR-Zeiten als Filmarchiv genutzte Haus stand leer. „Es war wie jedes Haus, das man damals aufgemacht hat: dunkel, muffig, modrig und verfallen.“ Das Neue daran: Das Haus war groß. „Es war nicht ein Haus, wie wir es sonst hatten – so eher mickrig.“ Eingerichtet wurden nach und nach eine Kneipe, Proberäume, ein Atelier, eine Turnhalle, Diskoräume. „Stück für Stück wurde sich dieser Laden erobert“, erzählt Berlin.

Auch die zwischenzeitliche Räumung des Hauses am 22. August 1997 spielt eine Rolle. In der Folge gab es Proteste, drei Tage später besetzten etliche junge Punks das Büro des damaligen Jugendamtschefs und heutigen Oberbürgermeisters Jann Jakobs (SPD). Am 25. September 1997 entschied schließlich der Jugendhilfeausschuss des Stadtparlaments einstimmig, das „Archiv“ wieder zurückzugeben – eine abenteuerliche Zeit, bei der insbesondere die Potsdamer Arbeiterwohlfahrt und ihre Chefin Angela Basekow dem damals gegründeten „Archiv“-Trägerverein unter die Arme griff. Punk Torsten dazu im Interview: „Frau Basekow haben wir schon einiges zu verdanken – die war sehr cool.“ Luisa Koch/Henri Kramer