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Im Freiland trafen sich queere Künstler und das Berliner Pornfilmfest: Zwei Perspektiven auf ein rauschhaftes Fest der Vielfalt von Ariane Lemme und Oliver Dietrich

Mindestens zwei Perspektiven sind nötig, wenn der Queerriot-Club Berlin sich mit dem Pornfilmfestival verbündet und auf einen Abstecher ins Freiland kommt. Eine männliche, eine weibliche, obwohl das dem Prinzip queer eigentlich noch nicht gerecht wird, schließlich gibt es viel mehr als zwei Geschlechter. Auch in Potsdam. Unter den rund 150 Leuten, die am Freitag ins Freiland gekommen waren, mögen sich trotzdem einige vorher gefragt haben: Was ist denn nun queerer Porno?

So viel ist klar: Mit unverwackelter Hochglanzpornografie hat er schon mal gar nichts zu tun. Bei den Filmen geht es darum, einen künstlerischen Anspruch durchzusetzen, einer der Kurzfilme lief auch auf der Berlinale – die ja wohl nicht das Internet ist. Da darf das Künstlerische auch gern verstörend wirken.

Oder lustig: Anders als im klassischen Porno darf hier auch mal etwas schiefgehen, dürfen die Protagonisten lachen. Verrückt. Das entspannt – auch das Publikum: An den witzigen Stellen wurde intensiver geklatscht, man habe schon gemerkt, dass das Publikum in Sachen Queerporn noch etwas unsicher ist, sagen die Macher des Festivals. Kein Problem: Wer wird schon verschreckt sein, wenn dem Porno das Menschliche zurückgegeben wird und das Kalt-Anatomische dafür in den Hintergrund tritt?

Unbehagen spielte eher in einem anderen Zusammenhang eine Rolle. Denn bei allen Grenzen, die an diesem Abend eingerissen wurden, gibt es ihn doch, den Unterschied. Nein, nicht den zwischen den Geschlechtern, sondern den zwischen Berlin und Potsdam. Berlin ist groß und schrill und frei – und Potsdam hat ihn dagegen immer noch, den Ruf der Piefigkeit, zumindest in Berlin. Das Ländliche, das Enge, das abschreckende Label „Brandenburg“. Performance-Künstler Tristan Rehbold, der in einem leicht blutigen Ballettstück später auf der Bühne des Spartacus steht, ist in Berlin als Schlampe bezeichnet worden – von Potsdamern. Das hat er sich gemerkt. Für gemischte Gefühle gab es im Freiland aber keinen Grund. Die Crew vom Spartacus hatte sogar ein sogenanntes „Trigger-Paper“ verfasst, damit beim Filmegucken niemand gezwungen wird, Schlüsselreize („Trigger“) für traumatische Erlebnisse hinzunehmen.

Noch mal gewarnt wurde kurz vor der Bühnenshow, die mit burlesque nur unzureichend beschrieben ist. Das war hohe Performancekunst, ein rauschhaftes Feiern der ganz großen Lust am Leben. „Are you ready for a world record?“, fragte Bernadette Anzengruber ihr Publikum noch, dann weihte die zierliche Frau in den roten Pluderhosen in die Geheimnisse des Pussy-Weightlifting ein. Das tut bestimmt weh, na klar, ist aber auch eine hinreißend lässige Demonstration weiblicher Stärke – ganz ohne die aufgesetzte Kraftmeierei mancher PorNo-Feministinnen.

Damit nicht nur mit den heterosexuellen Klischees gebrochen wurde, rechnete Dieter Rita Scholl gleich auch noch mit dem französischen Chanson, dem Vorzeigesynonym des Tuntigen, ab – selbstironischer kann man Chansons über die „Auto-Erotomanie“ gar nicht über die Bühne bringen. Bei der reinen Selbstliebe blieb es natürlich nicht und am Ende hatten alle gelernt, dass beim Queerporn hinterher gekuschelt werden darf. Durch den Abend getragen wurden Scholl und die anderen Künstler von der großartigen Moderatorin Maria Psycho, die in ihrem schwarz-weiß getreiften Morphsuit schließlich zur „Schwitzi-Schwitzi-Party“ aufrief.

„Auf sie mit Gebrüll!“ Neben Porno ging es schließlich auch um Riot, sprich: Aufstand. In das Plädoyer zur Abschaffung der Geschlechter können die beiden Autoren nur unisono einstimmen, ein mitreißendes Statement gegen die langweilige Dominanz der Heteronormativität.