2022-10-05 MAZ | Potsdamer Jugendliche rauchen und trinken weniger als früher

Potsdamer Jugendliche rauchen und trinken weniger als früher

Potsdams Jugend nimmt weniger Drogen,seit 25 Jahren berät der Verein Chill Out Menschen beim Konsum.Geschäftsführung Chill out e.V. Leitung Fachstelle für Konsumkompetenz Katharina Tietz (37) mit Sitz im Potsdamer "Freiland" Foto:Bernd Gartenschläger

Nur noch jeder zehnte Jugendliche in Potsdam raucht, auch das Rauschtrinken ist deutlich weniger geworden. Eine Potsdamer Präventions-Expertin rät besonders jungen Abhängigen, ihren Konsum zu hinterfragen und Motivationen zu untersuchen.

Saskia Kirf

05.10.2022, 09:12 Uhr

Potsdam. Zigaretten und Alkohol werden unter Potsdamer Jugendlichen zunehmend uncool: Dier bedenkliche Konsum von Tabak und das Rauschtrinken nehmen ab. Damit bestätigt sich ein Trend, den Experten bereits seit längerem beobachten. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Befragung Brandenburger Jugendlicher zum Substanzkonsum.

Die Umfrage wird seit 2004 im Abstand von jeweils vier Jahren durchgeführt, befragt werden dabei Teenager im Alter von durchschnittlich 15 Jahren in ganz Brandenburg. In Potsdam haben bei der mittlerweile fünften derartigen Erhebung im vergangenen Jahr gut eintausend Jugendliche mitgemacht. Das Fazit: Insgesamt konsumiert die Jugend heute weniger Rauschmittel als früher. Rauchten 2004 noch 37 Prozent der befragten Zehntklässler, greift heute nur noch jeder zehnte zur Zigarette. 69 Prozent der Mädchen und 62 Prozent der Jungen haben noch nie geraucht, an Gymnasien und Gesamtschulen gibt es überdies weniger rauchende Jugendliche als an Ober- und Förderschulen.

Potsdamer Jugendliche greifen seltener zur Flasche

Ähnlich sieht die Bilanz beim bedenklichen Alkoholkonsum unter den Potsdamer Jugendlichen aus. Zwei von fünf Mädchen und jeder dritte Junge geben an, „hin und wieder“ zu trinken, rund jeder vierte Jugendliche hat in der zehnten Klasse noch nie zu Bier, Wein oder Schnaps gegriffen. Deutlich rückläufig entwickelt sich der so genannte „riskante Alkoholkonsum“: 10,6 Prozent der Jugendlichen weisen einen solchen auf, 2004 waren es 25 Prozent gewesen.

In Potsdam sind die Mitarbeitenden des Vereins Chill out Experten für Suchtprobleme. Dieser Tage feiert der Verein seinen 25. Geburtstag. Das Team arbeitet präventiv an Kitas, Horten und Schulen und setzt dabei auf eine akzeptierende Drogenarbeit: „Hierbei ist mir wichtig zu vermitteln, dass junge Menschen ihren eigenen Konsum regelmäßig reflektieren und hinterfragen, welche Motivation zum Konsum besteht, welche Funktion dieser hat und ob eigene Kontrollmechanismen greifen“, erklärt Geschäftsführerin Katharina Tietz, sie leitet die Fachstellefür Konsumkompetenz. „Einen möglichst wenig gesundheitsgefährdenden Umgang mit Substanzen wir Alkohol und auch Cannabis zu entwickeln, ist eine Entwicklungsaufgabe junger Menschen und sollte von erwachsenen Bezugspersonen wertschätzend begleitet werden“, sagt sie.

Wenn Jugendliche zu viel getrunken haben und ins Krankenhaus kommen, treffen sie am nächsten Tag nicht selten auf Chill out-Mitarbeiter, die ihnen ein Beratungsangebot machen. „In unserer Wahrnehmung reflektieren viele Jugendliche das Thema Alkohol durchaus kritisch, gleichzeitig gibt es aber auch einige, die erste oder regelmäßige Erfahrungen mit Alkoholkonsum machen“, sagt Katharina Tietz.

Suchtprävention vom Verein Chill out

Auf den Potsdamer Straßen hat die MAZ mit mehreren Jugendlichen gesprochen, darunter mit der 13 Jahre alten Klara. „Bei mir in der Klasse wird schon viel über Rauchen und Alkohol geredet. Ich habe das aber noch nie gemacht“, sagt sie. Muhammed (16) und Johannes (18) dagegen trinken vor allem am Wochenende mehr, als gesund ist. „Also unter der Woche trinken wir ab und zu mal ein Bier. Ist ja nichts dabei. Was ist denn eigentlich zu viel Alkohol? Am Wochenende, wenn wir feiern, dann trinken wir auch mehr als nur ein Bier“, sagt Muhammed.

Relativ stabil zeigt sich die Zahl der jungen Kiffer, 2021 gehören knapp vier Prozent der Befragten zu denen, die einen riskanten Cannabis-Konsum zeigen – das war auch schon 2004 der Fall, seitdem schwankt die Zahl stets zwischen vier und sieben Prozent. Von den rund eintausend Befragten greifen nur vier Jugendliche, also 0,4 Prozent, nach eigener Auskunft täglich zum Joint. „Cannabis ist Teil der jugendlichen Erfahrungswelt“, sagt Sucht-Expertin Katharina Tietz. Aus den Workshops, die der Verein Chillout anbietet, entstehe ein ähnlicher Eindruck wie in der Studie: „Einige Jugendliche haben erste Erfahrungen mit Cannabis gemacht, einige ganz wenige konsumieren regelmäßig Cannabis, die meisten haben diese Substanz jedoch noch nicht probiert. Da Cannabis aber nicht zuletzt aufgrund der Debatte rund um die Legalisierung - ein sehr breites gesellschaftliches Thema und in der Diskussion sehr präsent ist, entsteht der Eindruck, alle würden kiffen, was aber nicht der Realität entspricht.“ In der Beratung spiele Cannabis regelmäßig eine Rolle.

Kontrollverlust als mögliche Motivation

Kaum eine Rolle in der Studie spielen die so genannten harten Drogen – aber sie beschäftigen die Jugendlichen durchaus. „Also Drogen sind ein Thema. Men kennt jemanden, der jemanden kennt und so weiter, der schonmal was ausprobiert hat. Es kommt ja dann immer auf den Freundeskreis an“, sagt die 17-jährige Vanessa der MAZ. Lukas (18) liebäugelt ebenfalls mit härteren Stoffen. „Definitiv sind Drogen und Alkohol für mich ein Thema. Ich habe auch schon gekifft. Ich würde aber auch gerne mal andere Sachen ausprobieren. Ich will wissen, wie das ist die Kontrolle zu verlieren“, sagt er.

Präventionsexpertin Katharina Tietz findet gerade diese Aussage spannend. „Das gibt nur einen kleinen Einblick in die Konsummotivation“, betont sie. „Er spricht von dem Wunsch, ’die Kontrolle zu verlieren’. Uns geht es grundsätzlich darum, Menschen zu befähigen, kompetent mit dem Thema Konsum umzugehen. Das bedeutet, sich zu informieren über die Substanzen an sich und sich Strategien anzueignen, wie der Konsum so wenig gesundheitsgefährdend wie möglich gestaltet werden kann.“

Dazu gehöre die kritische Reflektion des eigenen Verhaltens. „Ausprobieren kann Teil eines normalen Entwicklungsverhaltens junger Menschen sein, viele haben einen Wunsch nach psychedelischen Erfahrungen.“ Die akzeptierende Sozialarbeit nehme dies als gegeben hin, erklärt Katharina Tietz, und suche dann nach möglichen Veränderungsimpulsen. „Manchmal kann das sein, einfach Wissen zu vermitteln, um riskanten Kontrollverlust vorzubeugen, manchmal kann das sein, den Konsum soweit zu reduzieren, dass eigene Lebensziele erreicht werden“. Am Ende eines solchen Prozesses stehe für viele Menschen übrigens der Wunsch nach Abstinenz.

Quelle: MAZ vom 05.10.2022

2022_10_05_MAZ_ChillOut.pdf (3,3 MB)