2022-03-15 MAZ Essensversorgung für Ukraine - Flüchtlinge in Potsdamer Hotels wird zum Problemfall

Essensversorgung für Ukraine - Flüchtlinge in Potsdamer Hotels wird zum Problemfall

Viele ukrainische Flüchtlinge in Potsdam wurden in Hotels untergebracht. Doch die Verpflegung wurde dort zum Problem. Jetzt stemmen ehrenamtliche Initiativen wie die „Tafel“ die Versorgung mit Lebensmitteln .

Im Quartierstreff Staudenhof werden ukrainische Flüchtlinge mit Mittagessen versorgt. Quelle: Bernd Gartensschläger

Zahlreiche Geflüchtete aus der Ukraine in Potsdam werden in den von der Stadt zugewiesenen Unterkünften unzureichend mit Essen versorgt. Ihre Verpflegung ruht gerade vielerorts auf dem Engagement von ehrenamtlichen Helfern.

Ukraine: Potsdamer Helfer organisieren warme Mahlzeiten

Das Problem ist die Unterbringung in Hotels, die nur Frühstück anbieten und nicht die Infrastruktur haben, um die Menschen auch mit Mittag- und Abendessen zu versorgen. So berichtet eine freiwillige Helferin der MAZ, dass am Wochenende Geflüchtete aus dem Holiday Inn Express in der Straße Am Kanal in das Hochdrei-Hostel an der Hauptfeuerwache gingen, um dort mit Spenden der Potsdamer Tafel und weiteren Helfern dort ein Mittagessen zu kochen.

Auch in einem anderen Hotel in Potsdam, in dem Flüchtlinge untergekommen sind, konnte nur Frühstück angeboten werden. Dieses Problem löste die Stadt am Montag, indem sie dem Hotel ein Cateringunternehmen an die Seite stellten. Auf Anfrage erklärt eine Rathaussprecherin: „In den Erstunterkünften ist ein Catering vor Ort organisiert. In den Hotels gibt es teilweise Frühstück, teilweise Vollverpflegung, teilweise ehrenamtliche Unterstützung. Hier kamen über das Wochenende Hinweise, dass nachgesteuert werden muss. Dem wird aktuell nachgegangen.“

Zahlen zu Ukraine-Geflüchteten in Potsdam

Rund 1500 Geflüchtete aus der Ukraine haben nach Auskunft der Stadtverwaltung in den vergangenen 14 Tagen Potsdam erreicht und seien erstversorgt worden. Der Großteil der Menschen ist laut Sprecherin dann weitergereist oder nach Eisenhüttenstadt gebracht worden.

Aktuell sind in der Erstankunft in der Biosphäre (mit Treffpunkt Freizeit als Außenstelle) 123 Plätze belegt. In Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen und Gästehäusern sind es 567 Plätze – zuzüglich Beistellbetten für Kleinkinder.

Laut Verwaltung bemühen sich zahlreiche Initiativen um die Essensversorgung der Ukrainer, etwa die jüdische Gemeinde, die Awo, Tafel, Arche, auch die Bundeswehr. Ohne die ehrenamtliche Unterstützung geht es anscheinend nicht – und hier ist drohen Engpässe.

Potsdamer Tafel-Chefin warnt: „Nicht auf Freiwillige abwälzen“

So wurde die Potsdamer Tafel zwar frühzeitig bereits am 2. März von der Stadt gefragt, ob sie bei der Versorgung der ankommenden Flüchtlinge behilflich sein könne. „Dazu haben wir ‚ja‘ gesagt“, erklärt Imke Eisenblätter, Leiterin der Tafel Potsdam. Die ersten 70 Flüchtlinge, die in Potsdam ankamen, wurden alle mit einem Lunchpaket ausgestattet. Doch nun kommt die ehrenamtliche aufgestellte Organisation an ihre Grenzen: Im Schnitt hat die Tafel jeden Tag ungefähr 100 Kunden, die sich in der Drewitzer Straße Nahrung abholen. Jeden Tag kommen nun zehn bis 15 Ukrainer hinzu. In der vergangenen Woche haben wir 30 Ukrainern eine Karte ausgestellt. „Damit versorgen wir insgesamt 74 Menschen“, so Imke Eisenblätter. Aber: „Wir sind schon mit den bisherigen 100 Menschen pro Tag an der Grenze“, so Eisenblätter.

Die Zahl der nötigen Spenden reicht schlicht nicht aus. Zwar habe man zuletzt Lebensmittel an Hotels weitergegeben, die Geflüchtete aufgenommen haben. Doch das könne man sich „nicht dauerhaft leisten“, wenn zugleich die Tafel-Kunden versorgt werden sollen. Laut ihren Informationen hätten allerdings manche Hotels auch warme Mahlzeiten „aus eigener Tasche“ gestellt.

Es gibt noch ein weiteres Hindernis, den Menschen aus der Ukraine Lebensmittel direkt mitzugeben. Laut Eisenblätter sei oft nicht klar, ob diese in ihren Unterkünften überhaupt die Möglichkeit haben, diese Lebensmittel zuzubereiten. Wer nicht im Hotel kochen könne, dürfe sich deshalb ein Lunchpaket bei der Tafel holen – zumindest zwei Mal pro Woche.

Die Chefin der Potsdamer Tafel, die auch stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands der Hilfsorganisation ist, sagt über die Versorgungslage der Menschen aus der Ukraine: „Man kann das nicht auf das Ehrenamt und die Freiwilligen abwälzen“.

Im Quartierstreff Staudenhof werden ukrainische Flüchtlinge mit Mittagessen versorgt. Quelle: Bernd Gartensschläger

Das gerade genau dies passiert, zeigen zahlreiche Potsdamer Initiativen: Im Quartierstreff Staudenhof am Alten Markt findet jeden Tag von 11-17 Uhr ein Treffen statt, zu dem Ukrainer erscheinen können. Dort werden sie nicht nur beraten, etwa was Formulare für Unterstützungsleistungen angeht. Dort wird auch ein warmes Mittagessen von einem professionellen Koch zubereitet. In den restlichen Stunden gibt es Kaffee, Kuchen, belegte Brötchen, Obst und Joghurt. Bei Bedarf werden Lebensmittel auch mitgegeben.

Katrin Binschus-Wiedemann startete die Initiative zusammen mit anderen Mitarbeitern am letzten Mittwoch. Der von der Pro Potsdam getragene Quartierstreff unterstützt die Aktion. Am vergangenen Freitag waren über 200 Menschen dort, auch in dieser Woche rechnet Binschus-Wiedemann mit täglich mindestens 180 Menschen. „Nach Arbeitszeiten fragt uns keiner mehr. Wir haben das Wochenende durchgearbeitet“, erklärt sie der MAZ.

Unter diesem Zelt werden Geflüchtete im Freiland Potsdam mit Abendessen versorgt. Quelle: Bernd Gartensschläger

Abendessen im Freiland Potsdam für 200 Menschen

Für ein warmes Abendessen sorgt das Soziokulturzentrum Freiland in der Friedrich-Engels-Straße. Hier wird selbstorganisiert und selbstfinanziert von der „Solikante“ gekocht, einer mobilen Aktionsküche. Am Sonntag wurde der Bedarf erkannt, am Montagmorgen um 10 Uhr trafen die ersten Helfer ein und bauten Bänke und Zelte auf. Im Freiland plant man ebenfalls mit rund 200 Menschen täglich. „Ich gehe davon aus, dass jeden Tag mehr Menschen kommen, wenn sich das Projekt herumgesprochen hat“, sagt Achim Trautvetter von der Cultus UG, die das Freiland managt.

Alle Beteiligten sind Ehrenamtliche oder Freiwillige. Wie lange die Abendversorgung unter diesen Bedingungen gestemmt werden kann, ist offen. Zunächst ist sie nur für die aktuelle Woche geplant. Bis hoffe man, dass das Angebot nicht mehr gebraucht werden, erklärt Trautvetter.

Von Nick Wilcke

Quelle: MAZ vom 15.03.2022

2022_03_15_MAZ_Gefluechtete_Essensversorgung.pdf (321,7 KB)