2017-06-26 PNN Jeder lernt, was er will

Jeder lernt, was er will

Zeit fürs Nichtstun, keine engen Klassengrenzen und Lernen in Eigenverantwortung: Ein neuer Verein setzt sich für die Eröffnung einer sogenannten demokratischen Schule in Potsdam ein. Allerdings fehlt ein wichtiges Detail.

Potsdam - Kein fester Stundenplan, keine Tests, nicht mal ein Zeugnis. Stattdessen lernt jeder, was und wie er will. So lautet das Grundkonzept der sogenannten demokratischen Schulen, von denen es in Deutschland schon eine in Freiburg und eine in Leipzig gibt. Ginge es nach einer kleinen, aber wachsenden Initiative, dann gibt es diese Schulform bald auch in Potsdam.
Nadine Arndt ist eine der Frauen, die sich zusammengeschlossen und einen entsprechenden Antrag beim Bildungsministerium eingereicht haben. Die Potsdamerin hat eine acht Jahre alte Tochter und einen zwölf Jahre alten Sohn, beide besuchen zurzeit noch die Freie Schule Potsdam. „Man macht sich Gedanken, wie es weitergehen soll“, sagt die 40 Jahre alte Ergotherapeutin. „Und so ein Modell fehlt noch in Potsdam.“

Freie Zeit zum Nichtstun
Ihr Konzept stellten die Mitglieder des Vereins „Schule des Lebens Potsdam“ am Samstagvormittag im Kulturzentrum Freiland vor. Es basiert auf den Ideen des US-amerikanischen Psychologen Peter Gray, dem Pionier der demokratischen Schulen, und stützt sich auf sechs Säulen: Sobald Kinder wissen, dass sie selbst für ihre Bildung verantwortlich sind, übernehmen sie diese Verantwortung auch. Kinder sollen neben dem Lernen freie Zeit zum Nichtstun haben. Sie sollen stets aktuelle Techniken kennenlernen. Die Lehrer sollen unterstützend eingreifen, aber nie urteilen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die freie Altersmischung statt -abgrenzung. So lernen jüngere Schüler Dinge von älteren und diese wiederum dadurch, dass sie etwas erklären können. Und schließlich sollen Kinder in dem Wissen lernen, dass ihre Ideen ernst genommen werden und den anderen Schulmitgliedern etwas bedeuten.
Unter den Besuchern der Veranstaltung war auch Antje Geiß. Die 35 Jahre alte Potsdamerin hat selbst in einer Schule in Berlin-Neukölln gearbeitet und ist nun auf der Suche nach Alternativen – für ihren sieben Monate alten Sohn Bruno, aber auch für sich. „Ich habe als Musikpädagogin gemerkt, dass der Rahmen, den die Schule vorgibt, oftmals nicht den Möglichkeiten entspricht“, berichtet die junge Mutter. Für sich als Lehrende und für ihren Sohn wünsche sie sich mehr Spielraum für Kreativität – etwas, das im demokratischen Modell durchaus vorgesehen ist. Durch die fließenden Unterrichtseinheiten und den zwanglosen Umgang mit Lehrstoff werde den Kindern bewusst auch mal Zeit zur „Langeweile“ gegeben, erklärt Mitgründerin Kristin Wittig später. Dadurch entstünden oft kreative Ideen.
Bei der „Schule des Lebens“, wie sie einmal heißen soll, handelt es sich um eine Oberschule mit integrierter Grundschule. Sabrina Mathea (34) hat den Part der Finanzen übernommen. Für die ersten drei Jahre, in denen eine nur teils private Schule nach geltender Rechtsordnung keine Unterstützung vom Land erhält, rechnet Mathea mit einer benötigen Summe von maximal 600.000 Euro, hinzu kommen Elternbeiträge. Dazu hat der Verein einen Finanzierungsplan bei der Bank GLS eingereicht. Genehmigt werde dieser, wenn sich genug Menschen finden, die mit Beträgen von 300 bis 3000 Euro für die Schule bürgen. Ab dem vierten Jahr beginnt dann mit Landesunterstützung und Schulbeiträgen die Rückzahlung des Kredits, die bereits im zehnten Jahr des Bestehens der Schule beendet sein soll. Die Beiträge der Eltern werden nach dem Gehalt bestimmt.

Genehmigt Brandenburg solch ein Schul-Modell?
Im Herbst wird sich entscheiden, ob das Land das Modell genehmigt. Schon im Schuljahr 2018/19 soll es losgehen. Zunächst würden jeweils nur zehn Grund- und zehn Oberstufenschüler dabei sein, etwa fünf sollen jedes weitere Jahr aufgenommen werden, bis die Maximalkapazität von 150 Schülern erreicht ist. Große Sorgen bereitet dem Verein bisher die Standortsuche. Viele Gebäude, die infrage kämen, seien bereits von der Stadt für andere Zwecke vorgesehen. In Glindow hat der Verein nun ein 500 Quadratmeter großes Gebäude ins Auge gefasst, das jedoch denkmalgeschützt und sanierungsbedürftig ist. Gesucht wird auch nach engagierten Lehrkräften.
Dass es auch kritische Stimmen zum demokratischen Schulmodell gibt, ist Arndt durchaus bewusst. Sie hält entgegen, dass an einer solchen Schule qualifizierte Lehrkräfte unterrichten. Und wenn diese merken, dass ein Kind sich Struktur oder eine Benotung der Leistungen wünsche, sei das auch kein Problem.

„In den ersten sechs Jahren machen die Kinder, was sie wollen"
Zu den Vereinsmitgliedern zählt auch die 27-jährige Marie-Therese Hattendorf, die sich während ihres Erziehungswissenschaften- und Soziologiestudiums intensiv mit dem Modell der demokratischen Schulen auseinandergesetzt hat. „In den ersten sechs Jahren machen die Kinder, was sie wollen. Aber sobald sie merken, dass die älteren Kinder die Schule jetzt verlassen, machen sie sich ganz von allein Gedanken, welche Prüfungen sie vielleicht benötigen für das, was sie werden wollen“, erklärt sie.
Das Interesse an der alternativen Schulform demokratische Schule ist offenbar durchaus vorhanden: Es gibt bereits 50 unverbindliche Anmeldungen. „Jeder, der jetzt noch kommt, muss erst mal auf die Warteliste“, sagt Arndt.
Von Anne-Kathrin Fischer

http://www.pnn.de/potsdam/1194697/
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