2017-05-08 JW "Wir wollen aus der Defensive kommen"

»Wir wollen aus der Defensive kommen«

Antifaschismus ohne Feminismus wird nix: Gründe für den »F__Antifa-Kongress« in Potsdam.
Ein Gespräch mit drei Mitorganisatorinnen

»F_Antifa« steht für feministische Antifa. Sind Sie ausnahmslos in Gruppen aktiv, die sich so beschreiben lassen, oder müssen Sie manchmal auch intern darum kämpfen?
Charlie: Wir sind in unterschiedlicher Form organisiert, vom Lesekreis bis hin
zur autonomen Kleingruppe, sowie im feministischen und antifaschistischen
Bereich unterwegs. Antifagruppen sind häufig »cis-männlich« dominiert. Für
Frauen, Lesben, Transgender und Inter sexuelle, kurz FLTI, ist es schwierig. Auf jeden Fall müssen wir uns beweisen.
Christine: Unsere Politiken sind von unterschiedlichen emanzipatorischen Theorien beeinflusst – von materialistisch-marxistisch über kritische Theorie und Anarchismus bis eher kulturwissenschaftlich-postmodern.
Wie lässt sich der Begriff »Cis-Mann« am besten für Menschen außerhalb der Szene erklären?
Christine: »Cis-Männer« sind Männer, die als solche geboren wurden, sich mit dieser Geschlechterrolle identifizieren und auch so gesehen werden.
Charlie: Allerdings ist die Solidarität von Frauen in den Gruppen auch nicht selbstverständlich. Auch dort, wo Feminismus in der Theorie verstanden wird, wird er in der Praxis nicht immer umgesetzt.
Antifaschistische Gruppen hinterfragen Polizeistatistiken, wenn Gewaltopfer migrantischer oder jüdischer Herkunft, obdachlos, schwul oder lesbisch sind, damit gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als solche erkannt wird. Dabei kommen sie auf höhere Fallzahlen als die Polizei. Warum gibt es zum Motiv Frauenhass keine vergleichbaren Recher chen antifaschistischer Gruppen?
Alex: Wir bieten auf dem Kongress auch einen Workshop zum Thema Recherche an, weil uns aufgefallen ist, dass antifaschistische Gruppen das bisher nicht so auf dem Schirm haben. Wir sehen auf jeden Fall den Bedarf. Betroffene gehen aber wohl bisher nicht davon aus, dass sie sich an diese Gruppen wenden können, um solche Übergriffe zu melden.
Charlie: Es gibt bisher zuwenig Kommunikation darüber: Was ist sexualisierte Gewalt, und wo beginnt sie? Viele Menschen wissen gar nicht, wie sie abgrenzen sollen: Ist das jetzt schon ein Übergriff? Deshalb wird es auch einen Workshop zum Konsensprinzip im sexuellen Be-
reich geben. »Nein heißt nein« greift aus unserer Sicht zu kurz, wenn es kein klares Ja gibt.
Seit den 1990er Jahren ist sich die linksradikale Szene nicht einig, ob noch unbefangen geflirtet werden kann, wenn alles direkt ausgesprochen werden muss.
Christine: Diesen Vorwurf gibt es immer wieder. Auffälligerweise kommt er häufig von männlich identifizierten Personen. Betroffene, also meist Frauen, Lesben, Transgender und Intersexuelle, sagen eher, dass genau das für sie entspannter ist – offen reden.
Anfang 2016, nach den Silvesterübergriffen in Köln, schrieb eine Frau anonym in der taz, Opfer sexueller Gewalt würden »rechts instrumentalisiert und links liegen gelassen«. Inwieweit stimmt das aus Ihrer Sicht?
Christine: Das ist sehr allgemein formuliert: Was bedeutet in diesem Fall links, welche Gruppen sind damit gemeint? Es gab ja nach dieser Silvesternacht sehr wohl Reaktionen von links, aber eher solche auf den rechten Diskurs. Die Frage ist, wie hätten Linke auf diese Übergriffe selbst reagieren sollen? Explizit sexuelle Übergriffe von People of color herauszustellen halten wir jedenfalls für falsch. Allgemein werden sexualisierte Gewalt, Heterosexismus und Patriarchat von Linken ja sehr wohl thematisiert.
Das Oktoberfest wurde in besagten Reaktionen von Linken als Ort genannt, an dem es jedes Jahr Übergriffe dieser Art von überwiegend weißen, westlichen Männern gibt. Allerdings gab es zu dort bisher auch keine linken Aktionstage gegen Sexismus. Ein Defizit?
Charlie: Ich würde schon sagen, dass es im Vorfeld Versäumnisse gab, so dass nach dieser Silvesternacht nur noch reagiert werden konnte. Einige linke Feministinnen betonten dann: Unser Feminismus ist antirassistisch. Die Abgrenzung zum bürgerlichen, weißen Feminismus gab es zwar vorher schon, aber es war nicht allen klar, wie wichtig sie werden könnte.
Fehlten nicht auch explizit linke Kampagnen gegen sexualisierte Gewalt allgemein?
Christine: Das würde ich in Frage stellen, weil ja nicht zu einem ganz bestimmten Anlass wie dem Oktoberfest etwas gegen sexualisierte Gewalt getan werden muss. Dieses Phänomen ist so alltäglich, auch im häuslichen Bereich, dass es jeden Tag thematisiert werden kann. Jede Demonstration gegen Sexismus und für Frauenrechte trägt dazu bei. Natürlich könnte es mehr davon geben – aber dazu soll ja unser Kongress beitragen.
Charlie: Wir wollen aus der Defensive kommen – Netzwerke schaffen gegen den konservativen Rollback und den Rechtsruck.
Im Programmplan finden sich Stichworte wie Militanz und Selbst verteidigung gegen Belästigungen im öffentlichen Raum. Organisierte Selbstverteidigung von Frauen, Transgender und Intersexuellen gibt es aber hier nicht gerade flächen deckend. Welche Vorbilder seht ihr dafür in der Vergangenheit oder im Ausland?
Alex: Vielleicht leben wir zu sehr in dieser linken Filterblase, aber ich habe schon den Eindruck, dass so etwas auch hier verbreitet ist. Nach meiner Wahrnehmung wird in dieser Hinsicht gerade viel aufgebaut. Ich würde sogar fast sagen flächendeckend – natürlich nicht in jedem Dorf.
Sind das denn Gruppen, zu denen auch Frauen stoßen, die noch nicht anderweitig politisiert sind?
Charlie: Ich würde sagen, davon gibt es auf jeden Fall noch zuwenig. Allerdings gibt es viele Anlässe, sich zu politisieren – so isoliert sind linke Feministinnen nicht. In Bündnissen, zum Beispiel solchen gegen Kampagnen von »Abtreibungsgegnerinnen«, sind auch Organisationen wie Pro Familia vertreten. Einen Vorbildcharakter könnte im internationalen Bereich aber auf jeden Fall die Frauenbewegung in Kurdistan haben. Auch in Lateinamerika gibt es interessante Beispiele.
**Stichwort »Abtreibungsgegner
in­ nen«: Ist es bei inhaltlich und zahlenmäßig männerdominierten Gruppen wirklich passend, die Sprache so konsequent zu gendern?**
Charlie: Auf jeden Fall. Frauen wie die AfD-Politikerin Beatrix von Storch stehen dort in der ersten Reihe. Konservative »Cis-Frauen« können mit antifeministi schen Positionen Karriere machen. Wir wollen deutlich machen, dass sich reaktionäre Bewegungen nicht nur auf Männer stützen.
Christine: Dass wir selbst die Sprache gendern, heißt aber nicht, dass wir Menschen ausgrenzen, die das nicht tun. Eine Sprechweise zu favorisieren, ist eine Sache. Daraus ein Ausschlusskriterium zu machen, eine andere.
Der »F_Antifa-Kongress« ist offen für alle Geschlechteridentitäten. Es gibt aber einen Workshop »Macker wegmoderieren«. Was bedeutet das?
Alex: Das bezieht sich auf patriarchales Redeverhalten. Es gibt aber auch einzelne Workshops nur für FLTI. Das entspricht dem Wunsch der Personen oder Gruppen, die sie gestalten. Wir sind als Orgateam ja nur für die Infrastruktur und den Rahmen verantwortlich.
Interview: Claudia Wangerin

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