2017-04-24 MAZ Prothesen aus dem 3D-Drucker

Prothesen aus dem 3D-Drucker

Mario Parade mit 3D-Drucker in der Selbsthilfewerkstatt auf dem Freiland-Gelände.
Quelle: Foto: Bernd Gartenschläger

Der Wissenschaftsladen Potsdam entwickelt mit Bundesförderung eine mobile Selbsthilfewerkstatt für Menschen mit Behinderung. Mit Hightech-Geräten wie einem 3D-Drucker sollen sie die Möglichkeit bekommen, sich nach eigenem Bedarf Hilfsmittel anzufertigen.

Potsdam. Der Wissenschaftsladen Potsdam bereitet in Kooperation mit der Universität Potsdam und dem Oberlinhaus ein Projekt vor, mit dessen Hilfe sich Menschen mit Behinderungen selbst Hilfsmittel herstellen können. Dafür sollen mobile Werkstätten mit 3D-Drucker eingerichtet werden, mit denen die Entwicklung und Herstellung dieser Geräte vor Ort ermöglicht wird. Das Projekt ist eines von zehn, die vom Bundesforschungsministerium als Sieger im „Light Cares“-Wettbewerb ausgezeichnet wurden. Ziel des Wettbewerbes ist die Hilfe zur Selbsthilfe, um Menschen mit Handicap den Alltag zu erleichtern.

Nach Angaben von Mario Parade, der die Auszeichnung für Potsdam entgegengenommen hat, sollen 3D-Drucker zunächst in den Oberlin-Werkstätten auf Hermannswerder, in der Montessori-Oberschule und in der Universität platziert werden. „Wir wollen Möglichkeiten schaffen, damit die Leute Ideen vor Ort entwickeln und realisieren können.“

Als Beispiele für Prototypen nannte er eine sehr viel größer als üblich gestaltete Computertastatur für Nutzer mit spastischen Störungen, die als Spezialanfertigung aus dem Fachhandel sehr teuer sei, während ihre maßgerechte Anfertigung mit eigenem Gerät kaum mehr als das Material koste. Ein anderes Beispiel ist ein Hebel zum Öffnen von Schraubverschlüssen an Trinkflaschen für Menschen etwa mit schweren rheumatischen Störungen, der mit dem Gerät ohne Aufwand herzustellen sei. Selbst die Produktion von Prothesen sei möglich. Das vom Ministerium geförderte Projekt soll im Laufe des Jahres starten.

Der Wissenschaftsladen Potsdam wurde 2011 als Verein gegründet. Er versteht sich als Teil einer weltweiten „Maker“-Bewegung, die Menschen mit der kostenlosen Bereitstellung von Werkzeugen vom Hammer bis zum computergesteuerten 3D-Drucker und frei zugänglichen Informationen Hilfe zur Selbsthilfe anbietet. Auch die Baupläne für die Hilfsmittel, die im Rahmen des „Light Cares“-Projekts entstehen, sollen frei zugänglich im Internet veröffentlicht werden.

Das „Fab-lab“ genannte Fabrikationslabor des Wissenschaftsladens ist im Haus 5 auf dem Freiland-Gelände an der Friedrich-Engels-Straße 22 eingerichtet. Immer donnerstags ab 18 Uhr ist es für neue Interessenten geöffnet. Prinzipiell aber soll die Werkstatt für die Nutzer rund um die Uhr zur Verfügung stehen.

Ein weiteres Projekt, das in diesem Sommer starten soll, zielt auf frei zugängliche Informationen über die Luft- und Gewässerqualität in Potsdam. Dazu soll die Stadt mit bis zu 100 Messstationen bestückt werden, deren Ergebnisse permanent im Internet veröffentlicht werden. Der Wissenschaftsladen arbeitet dabei unter anderem mit den Potsdamer Freifunkern zusammen, die mit immer mehr kostenlosen Zugängen an einem freien WLAN-Netz für die Stadt arbeiten. Die ersten Messstationen sollen laut Parade im Sommer in Betrieb genommen werden – gekoppelt mit den WLAN-Stationen der Freifunker auf dem Freiland-Gelände.

Zu den überregionalen Projekten, an denen der Wissenschaftslade beteiligt ist, zählt eine „Mikromüllverbrennungsanlage“ für Togo, Westafrika. Aus vor Ort reichlichem Schrott etwa von alten Autos und Gasflaschen zusammengeschweißt, wird Plastikmüll bei so hohen Temperaturen verbrannt, dass außer Kohlendioxid keine weiteren Abgase entstehen. Partner des ebenfalls vom Bundesministerium geförderten Projekts, mit dem aus Müll Wärme und Energie gewonnen wird, ist ein Wissenschaftsladen in Togos Hauptstadt Lomé.

Weltweites Netzwerk

Wissenschaftsläden gibt es bereits seit den 1970er Jahren. Damals schlossen sich niederländische Chemiestudenten zusammen, um Bürger und gemeinnützige Organisationen wissenschaftlich zu unterstützen. In den 1980er Jahren folgten erste Initiativen in Deutschland. Den Wissenschaftsladen Potsdam gibt es seit 2011 als eingetragenen Verein.

Im Frühjahr 2012 begann auf dem Freiland-Gelände der Aufbau eines stationären und mobilen „Fab-Lab“ in einer allen Interessenten offenen High-Tech-Werkstatt mit Lasercuttern, 3D-Druckern, CNC-Maschinen und Fräsen. In Kursen werden Kenntnisse über Produktionsverfahren vermittelt, bei denen eigenverantwortlich, nutzerspezifisch und individuell Einzelstücke gefertigt werden.

Mario Parade, aufgewachsen in Leipzig, studierte in den 1990er Jahren in Potsdam Physik und ist einer der Wegbereiter des Potsdamer Wissenschaftladens. Als Fellow an der Stanford-Universität Kalifornien hält Kontakt zu einem weltweiten Netzwerk.

Von Volker Oelschläger

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