2016-11-02 PNN Eine Geschichte vom Geben

Eine Geschichte vom Geben

Die Birkenplättchen erhält man für gute Taten - und sie wandern weiter. Foto: A. Klaer

Drei junge Potsdamer haben ein Projekt zum Verschenken von Gegenständen und Leistungen initiiert. Nun wollen sie die Tauschgeschichten ins Internet bringen.

Potsdam - Alles begann mit Erdbeeren. Im Kleingarten von Jennifer Meyer reiften die roten, süßen Früchte im Juni vergangenen Jahres heran und brachten die junge Potsdamerin auf eine Idee: Was wäre, wenn sie die Ernte mit anderen teilte, statt sie allein aufzuessen? „Ich hatte Lust, anderen damit eine Freude zu machen“, erklärt die 32-Jährige. Gleichzeitig hatte sie gehofft, damit eine Kettenreaktion auszulösen: Würde derjenige, den sie mit ihren Erdbeeren erfreute, ebenfalls dazu inspiriert werden, jemand anderem ohne Gegenleistung etwas zu geben? Und dieser wiederum einem weiteren?
Rasch überzeugte Meyer zwei Mitstreiter, die Humanökologin Mona Sperrer und den Musiker Paavo Günther, von ihrer Idee. „Es gibt zu wenige positive und verbindende Geschichten“, sagt Paavo Günther. „Dabei machen gerade diese Geschichten Mut.“ Gemeinsam überlegten die Potsdamer, wie sie nicht nur den Stein ins Rollen bekämen, sondern diesen gleichzeitig auch sichtbar machen könnten – und erfanden kurzerhand den Flux.
Der Holzchip ist eine Art Währung
„Das ist die Hardware zu unserem Projekt“, erklärt Paavo Günther. Vor ihm auf dem Tisch liegen fünf kleine Plättchen aus Birkensperrholz. Eines ist rund, die anderen eckig. Durch ein kleines Loch im Holzchip kann er am Schlüsselbund befestigt oder an einer Kette um den Hals getragen werden. „Jedes Mal, wenn jemand etwas gibt, erhält er einen Flux“, sagt Paavo Günther. Der Holzchip ist quasi die Währung, die vom Nehmenden zum Gebenden wandert. Man kann ihn anfassen und weitergeben. Parallel dazu gibt es auch eine digitale Präsenz: In einem Blog kann jeder Flux-Besitzer Kommentare hinterlassen und von seinen Erfahrungen berichten.
Die Idee findet offensichtlich Sympathisanten. Inzwischen seien einige Hundert Holzplättchen im Umlauf, sagen die Initiatoren, die durch ein Netzwerk weiterer Beteiligter unterstützt werden. Die meisten Chips seien in Berlin und Brandenburg in den Portemonnaies, einige deutschlandweit im Umlauf und einer sogar in Venezuela. Was sie miteinander teilen möchten, ist den Flux-Besitzern selbst überlassen: Lebensmittel, Kleidung oder etwa Hilfe bei einer Reparatur. Selbst weiterbilden kann man sich durch die Tauschaktion: „Einige Menschen machen etwas, dass sie vorher nie getan hätten. Jemand hat zum Beispiel Jonglieren gelernt“, erzählt Paavo Günther.

Den Weg nachverfolgen
Mit einem Crowdfunding-Projekt, das am 20. Oktober auf der Internetplattform Startnext startete, wollen die Erfinder des Flux ihre Idee nun weiterentwickeln. Dazu wird auf der Rückseite der Holzchips ein QR-Code mit einem Laser eingraviert. Das individuelle schwarze Muster ist die virtuelle Eintrittskarte in einen Blog, auf dem die Besitzer des Chips ihre ganz persönliche Geschichte mit anderen teilen können. Neben dem QR-Code kann der Blog auch über eine ebenfalls auf dem Chip eingelaserte ID-Nummer betreten werden. Schließlich besitze nicht jeder ein Smartphone und könne so die Codes nicht einscannen.
Der Flux und der Blog zusammen ergeben schließlich eine Fluxtory - eine Geschichte, die davon erzählt, durch welche Hände der Flux bereits gewandert ist und welche Gaben mit ihm verbunden sind. „Viele Leute haben uns gesagt, dass es schön wäre, wenn sie den Weg, den ihr Flux genommen hat, nachverfolgen könnten“, sagt Jennifer Müller.
Durch Crowdfunding-Kampagne sollen 9000 Euro für Fluxtory zusammenkommen
Durch zahlreiche Spenden über das Internet soll das Ziel von 28 000 Euro für die Erweiterung der Plattform erreicht werden – bis zum 24. Dezember dieses Jahres. Etwa 20 Unterstützer haben die Initiatoren bereits gefunden. „Mit unserem Mindestziel von 9 000 Euro können wir die Basisfunktionen einrichten“, erklärt Jennifer Meyer. Die Herstellung der Chips und die Einrichtung der einzelnen Nutzerprofile wären mit diesem Betrag abgesichert. Die Gründer hoffen jedoch, dass mit weiteren Geldern zusätzliche Funktionen wie etwa ein Chat oder eine geografische Karte installiert werden können.
Ist das Crowdfunding erfolgreich, wollen Meyer, Paavo und Sperrer ab Mitte 2017 ihr Konzept umsetzen: Jeder, der einen Mindestbetrag von zehn Euro spendet, erhalte dann einen Chip, mit dem er eine eigene Geschichte auf der Internetseite starten kann. Für 25 Euro können sich die Unterstützer einen Flux nach persönliche Wünschen herstellen lassen – etwa mit einem eigenen Design oder aus farbigem Kunststoff statt aus Holz.
Mit ihrer Idee wollen die Gründer durchaus auch den Blick auf andere Perspektiven des Miteinanderlebens und Wirtschaftens lenken, ohne jedoch dabei das Projekt zu überfrachten. „Es ist wichtig, dass es spielerisch und leicht bleibt“, betont Jennifer Meyer. Es gehe nicht um den erhobenen Zeigefinger, sondern darum, sich auszuprobieren– und sich zu begegnen. Man schreibe die Fluxtory gemeinsam.
Von Volker Oelschläger

http://www.pnn.de/potsdam/1127329/
2016-11-02 PNN Eine Geschichte vom Geben.pdf (190,7 KB)