2016-08-04 PNN Mehr rechtsextrem motivierte Übergriffe

Mehr rechtsextrem motivierte Übergriffe

Die Pogida-Aufmärsche vom Frühjahr werden noch nicht thematisiert. Foto: A.Klaer

Der neue Verfassungsschutzbericht analysiert die Entwicklungen in der rechten und linken Szene der Stadt. Ein Überblick.

Mehr rechtsextrem motivierte Übergriffe und ein Generationswandel bei Linksradikalen. Seitenweise wird im jetzt erschienenen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2015 über demokratiefeindliche Bestrebungen in Potsdam referiert. Die PNN geben einen Überblick.

GEWALT VON RECHTS
Aufgelistet werden unter anderem sieben, teils bisher öffentlich nicht bekannte Fälle rechter Gewalt – etwa bei einer Asyl-Infoveranstaltung in der Groß Glienicker Preußenhalle am 19. März 2015. Die Zufahrt war damals für den Fahrzeugverkehr gesperrt. Ein an der Absperrung eingesetzter Ordner sei dort von einem Autofahrer als „Kanake“ beschimpft und sogar angefahren worden, heißt es in dem Bericht. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärte auf PNN-Anfrage, gegen eine Geldauflage seien die Ermittlungen mittlerweile eingestellt worden.
Noch ermittelt wird dagegen laut Staatsanwaltschaft zu einem Vorfall vom 14. Mai 2015, der sich an der Selbsthilfe-Autowerkstatt und dem Asylheim am Schlaatz abgespielt haben soll. Laut Verfassungsschutzbericht sei ein somalischer Asylbewerber und eine weitere Person von einem Mann aus der Werkstatt beschimpft und getreten worden. Als der Afrikaner und sein Begleiter zum Gelände des Asylheims, An der Alten Zauche, geflohen seien, seien sie von weiteren Personen aus der Werkstatt verfolgt worden, die auf sie einschlugen – unter anderem mit einem Schraubenschlüssel. Den Vorfall hatte später auch die Potsdamer Antifa aufgegriffen und dem Werkstattteam „Offenheit für menschenverachtendes Gedankengut und Neonazis“ vorgeworfen – was dort zurückgewiesen wurde.
Ebenso aufgelistet ist eine Attacke aus dem vergangenen September, bei der auf der Freundschaftsinsel ein 14 Jahre alter Flüchtlingsjunge aus Syrien von anderen Jugendlichen als Ausländer beleidigt und verletzt wurde. Dazu würde noch ermittelt, hieß es aus der Staatsanwaltschaft. Eine Anklage erhoben sei zu einem Vorfall, bei dem laut Verfassungsschutz ein aus Russland stammender Mann versucht haben soll, einer Frau islamischen Glaubens das Kopftuch wegzureißen. Ebenso soll der nun Angeklagte den Mann der Frau geschlagen haben.
Weiterhin listet der zum Landesinnenministerium gehörige Verfassungsschutz für das vergangene Jahr ein anonymes Drohschreiben an eine Potsdamer Zeitung zum Thema Asylberichterstattung auf, ebenso Bedrohungen gegen einen Kosovaren und eine Mutter aus Syrien, die mit ihrem Kleinkind unterwegs war. Schon die Polizei hatte für 2015 genau 101 Fälle rechts motivierter Kriminalität in Potsdam registriert, 28 Delikte mehr als im Vorjahr.

DIE RECHTE SZENE IN POTSDAM
Nur wenig Bewegung konstatiert der Verfassungsschutz für die rechte Szene in Potsdam, neuere Entwicklungen wie die Pogida-Aufmärsche im Frühjahr werden noch nicht thematisiert. Für die rechtsextreme NPD stellt die Behörde fest, dass die Partei für Potsdam wieder über eine Internetseite verfüge, dem Verband aber weiterhin nur wenige Personen angehörten. Thematisiert wird auch ein von der NPD Ende 2015 veröffentlichter Forderungskatalog zur Politik in der Stadt, in dem sich das Partei-Weltbild der „konsequenten Ausgrenzung aller Nicht-Deutschen und Nicht-Europäer“ zeige. So solle etwa nicht-europäischen Kindern eine naturwissenschaftliche Ausbildung beziehungsweise Allgemeinbildung komplett verwehrt werden. Eine weitere Entwicklung: Die Mitglieder des Stützpunktes der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) würden sich inzwischen eher in der rechtsradikalen Splitterpartei „Der III. Weg“ engagieren, die als extremer als die NPD gilt. Genaue Mitgliederzahlen werden nicht genannt.
Im Bereich rechtsextremer Musik listet der Verfassungsschutz sechs Bands und einen Liedermacher aus Potsdam auf – von brandenburgweit insgesamt 39 Neonazi-Gruppen und –Einzelmusikern. Drei aus Potsdam stammende Bands hätten sich aufgelöst. Jedoch hätten einzelne Band-Mitglieder ihre musikalischen Aktivitäten innerhalb der Szene fortgesetzt.

DIE LINKE SZENE
Die laut Verfassungsschutz mit etwa 75 Personen zahlenmäßig stärkste autonome Szene Brandenburgs existiert derzeit in Potsdam. Diese konzentriere sich – neben dem identitätsstiftenden „Antifaschismus“ – vor allem auf den „Kampf um Freiräume“. Insbesondere gehe es laut Verfassungsschutzbericht darum, dass Wohn- und Kulturobjekte, die die Szene „beispielsweise der Stadt Potsdam abgerungen hat, möglichst weiter subventioniert, also mit staatlichen Mitteln alimentiert werden“. Weiteres zentrales Thema sei die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe. Explizit erwähnt wird, dass das auch von Linksextremisten besuchte Potsdamer Kulturzentrum Spartacus im „Freiland“ den ihm von der Stadtverwaltung Potsdam verliehenen Ehrenamtspreis der „Roten Hilfe“ gewidmet habe. Die Rote Hilfe wird vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft.
Trotz der geographischen Nähe bestünden zu autonomen Gruppen in Berlin keine intensiven Beziehungen, heißt es in dem Bericht weiter. Während sich die autonome Szene Potsdams noch vor einigen Jahren zu einem großen Teil aus den extremistischen Teilen des ehemaligen Hausbesetzermilieus rekrutiert habe, sei inzwischen – insbesondere durch studentischen Zuzug – ein Generationswechsel eingetreten. Mit diesem Wandel „von einer traditionell autonomen hin zu einer eher postautonomen Ausrichtung“ sei in den vergangen Jahren auch ein Rückgang der Gewaltbereitschaft feststellbar gewesen – allerdings habe sich zuletzt, im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen Rechtsextremisten, eine – so wörtlich – „zunehmende Konfrontationsgewalt“ gezeigt. Um Anfang des Jahres eine erste sogenannte Pogida-Demonstration in Potsdam zu verhindern, sei es zu „regelrechten Gewaltexzessen“ gekommen, so die Behörde. Erinnert wird auch an zwei Demonstrationen gegen NPD-Aufmärsche 2015, bei denen Fahrzeuge der Partei angegriffen worden seien.

ISLAMISMUS KEIN THEMA
Im Kapitel Islamismus des Verfassungsschutzberichtes finden sich in Bezug auf Potsdam keine spezifischen Erwähnungen. Der Trägerverein der Al Farouk-Moschee in der Straße Am Kanal distanziert sich seit Jahren von Gewalt und von Personen oder Gruppen, die dazu aufrufen.
Von Henri Kramer

http://www.pnn.de/potsdam/1101217/
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