2016-04-29 PNN Von den Eltern gewarnt

Von den Eltern gewarnt

Hart, aber herzlich. Hungry At Heart spielen am heutigen Freitag im Spartacus. Foto: promo

Die Potsdamer Band Hungry At Heart stellt am heutigen Freitag ihre neue EP im Spartacus vor.
Wenn man die Potsdamer Band Hungry At Heart kennenlernt, merkt man gleich, was sie für eine unfassbare Gelassenheit ausstrahlt. So gelassen, dass man gar nicht glauben mag, dass die fünf Jungs in einer dieser alternativ-progressiven Postpunk-Hardcore-Bands spielen, die immer wieder so tiefes Identifikationspotenzial bieten – trotz dieser recht harten Musik ist bei keinem der Mitglieder eine verrückte Biografie zu finden.
Mittwoch war der Tag, an dem die verheißungsvolle EP mit dem Namen „The Kids Our Parents Warned Us About“ endlich ankommt, frisch gepresst, zwei Tage vor dem Konzert. Aber am besten trifft man die Band gleich in der „Olga“ in der Charlottenstraße, Punkrock dröhnt aus den Boxen, es gibt Sternburg Export. Gitarrist Kenny Frost mag die Scheibe fast nur widerwillig überreichen: „Ich muss die erst mal anfassen, ich hatte die fast gar nicht in der Hand.“
Ein Goldstück, was da in seiner Hand liegt: Das Artwork wurde von Frosts Tätowierer Adrià de Yzaguirre geschaffen, der eigentlich aus Barcelona stammt. „Eigentlich haben wir ihm nur die Musik gegeben“, sagt Frost. „Den Rest hat er gemacht.“ Das Ergebnis kann sich sehen lassen: verstörende Schwarz-Weiß-Optik im angegilbten Comicstil, die CD selbst ein optischer Vinyl-Klon, ein Schmuckstück, viel zu schade, um sie im Plattenschrank verstauben zu lassen.
Am heutigen Freitagabend ist die Record-Release-Party im Spartacus, gleichzeitig die offizielle Eröffnung der einwöchigen Geburtstagsparty des Clubs in der Friedrich-Engels-Straße. Dass das Musikerkollektiv „Brausehaus“ die Sause eröffnet, stand längst schon fest. Es ist schließlich nicht das erste Konzert von Hungry At Heart im „Sparti“, aufgenommen wurde da auch schon. Ach, eigentlich ist es viel mehr: „Spartacus und Brausehaus, das ist eine Liebesgeschichte“, sagt Frost und grinst in seinen Bart.
Denn auch die beiden anderen Bands – Animal Drive und Conium – stammen aus dem Dunstkreis des Proberaumkomplexes Brausehaus. Der ist in der Geschwister-Scholl-Straße in Potsdam-West in einer alten Limonadenfabrik untergebracht, ursprünglich sollte die einer Wohnbebauung weichen. Doch nicht alle Investoren lassen sich als Kulturvernichter über einen Kamm scheren: Das Brausehaus durfte bleiben und bekam sogar eine Renovierung durch den Besitzer. Mittlerweile ist das Künstlerhaus eine Potsdamer Instanz – mehr noch: Dem Brausehaus wird auch eine ganz eigene Ausrichtung, eine in Richtung Postrock und Postpunk, nachgesagt. Das war zunächst noch anders: Mit Bands wie Conium, Liquid Silk und Stonehenge haftete dem Kollektiv zunächst der Stempel der Stonerrock-Community an. Bands wir Hungry At Heart, Minerva und Sun fielen da schnell aus der Reihe – und dennoch sind sie sich nah: Natürlich beeinflusst man sich gegenseitig, wenn man sich ständig in Proberäumen begegnet. „Sun haben uns zum Beispiel inspiriert, auch mal ein paar krumme Takte einzubauen“, gesteht Hungry-At-Heart-Gitarrist und Sänger Ron Herrmann.
Die gegenseitige Beeinflussung der Bands merkt man im konkreten Fall an der Länge der Songs: Das Songwriting ist bei Hungry At Heart nicht nur komplexer geworden, sondern auch ausdauernder. Bereits der Opener „Once A Week Won’t Kill You“ im klassischen Hardcore-Stil, der von geradezu sentimentalen Parts unterbrochen wird, bringt es auf über fünf Minuten mit atmosphärisch-melodischen Singalongs. Wesentlich deutlicher geradeaus geht es im zweiten Song „God Hates Fred Phelps“, in dessen Text sich auch der Titel der EP wiederfindet: „Da hatten wir Bock, mal ein bisschen Oldschool-Hardcore mit reinzupumpen“, sagt Frost – für die Atmosphäre sorgt ein mit reduziertem Synthesizer unterlegter Chorus. Oder aber wie in der Siebeneinhalb-Minuten-Symphonie „Just A Few Lines“, der zunächst ganz viel Zeit zum Entfalten gegeben wird, ein Song, der wie in Zeitlupe voranschreitet und den Zuhörer dabei wie in einen Strudel reißt.
Pläne für die Zukunft gibt es auch bereits: Im Herbst soll es gemeinsam mit der befreundeten Skatepunk-Band I Shot Bambi aus Berlin auf Deutschlandtour gehen. „Wir wollen versuchen, nicht mehr so viel in Potsdam zu spielen“, sagt Gitarrist und Sänger Herrmann. Klar: Einer Band wie dieser steht schließlich die ganze Welt offen. Potsdam aber scheint inzwischen ein ganz guter Ausgangspunkt dafür zu sein.
Von Oliver Dietrich

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