2016-04-02 PNN „Crystal Meth wird sich etablieren“

„Crystal Meth wird sich etablieren“

Rüdiger Schmolke ist Geschäftsführer der Potsdamer Suchtberatungs- und Informationsstelle Chillout e.V. Foto: René Garzke

Rüdiger Schmolke, Geschäftsführer der Suchtberatungsstelle Chillout, im Interview zum Drogenkonsum in Potsdam.

Herr Schmolke, die Polizei registrierte 2015 in Potsdam fast elf Prozent mehr Rauschgiftdelikte als im Vorjahr. Liegt das nur daran, dass die Beamten mehr kontrollieren?
Wir beobachten über viele Jahre, dass sich der Drogenmarkt ausdifferenziert und es einfacher geworden ist, sich Stoff zu besorgen. Dass es aber eine starke Zunahme an Intensivkonsumenten gibt, können wir nicht sagen. Die Polizeistatistik ist in der Tat wesentlich abhängig von der Polizeiaktivität. Die Zahlen geben aber vielleicht auch Hinweise auf eine Zunahme von Probierkonsumenten. Wir bei Chillout verzeichnen zwar seit 2011 auch eine steigende Nachfrage an Drogenberatungen. Das heißt aber nicht automatisch, dass es mehr Problemkonsumenten gibt.

Was sind Ursachen für die steigenden Zahlen?
Das liegt vor allem an der höheren Verfügbarkeit der Drogen. Vor allem das Internet, neue Vertriebswege und allgemein die Globalisierung haben dazu beigetragen. Und die Bereitschaft, auch illegale Substanzen zu probieren, hat in der ganzen Bevölkerung zugenommen.

Wie kommt der Stoff nach Potsdam?
Wenn wir Menschen fragen, wie sie an die Drogen gekommen sind, nennen diese meistens persönliche Beziehungen – also Freunde, Bekannte. Darüber läuft der Probierkonsum. Aber man muss sich keine Illusionen machen: Dort, wo viel Geld verdient wird, gibt es organisierte Strukturen. Das ist auch zunehmend flächendeckend der Fall. Abgelegene Orte, wo fast keine Drogen verfügbar sind, gibt es quasi gar nicht mehr. Im Cannabis-Bereich gibt es seit ungefähr 20 Jahren den Trend, dass immer mehr zu Hause angebaut wird. Da ist Brandenburg auch eine Hochburg. Hier gibt es viele alte Höfe oder ländliche Anbauflächen, die schwer zu kontrollieren sind.

Gibt es Personengruppen, die besonders anfällig für Drogen sind?
Hier muss man unterscheiden: Probierkonsumenten gibt es immer mehr, aus allen Schichten. Aber: Von diesen wird nur ein Teil zu Dauerkonsumenten. Da gibt es starke Zusammenhänge zwischen persönlichen und sozialen Risikofaktoren. Zu letzteren zählen etwa ein niedriger Bildungsstatus oder ein schwaches soziales Netzwerk. Und persönlich zum Beispiel ein niedriges Selbstbewusstsein. Auch der Gruppendruck, vor allem unter Jugendlichen, spielt eine Rolle. Auch eine mangelnde familiäre Bindung kann anfälliger für Dauerkonsum machen.

Welche Rolle spielen Schulen als Umschlagplatz für Drogen?
Cannabis ist eigentlich an jeder weiterführenden Schule verfügbar. Eine Befragung des brandenburgischen Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport hat 2012 ergeben, dass in Potsdam etwa 20 Prozent der Zehntklässler schon mal Cannabis probiert haben. Aber nur wenige gebrauchen Cannabis regelmäßig oder haben Erfahrungen mit anderen illegalen Substanzen. Und dass an Schulen im Sinne von Geldmacherei organisiert gedealt wird, kommt wohl eher selten vor.

Die Polizei nennt Cannabis und Kokain als die am meisten konsumierten Drogen in Potsdam. Haben Sie dieselben Erfahrungen gemacht?
Eine Suchtberatungs- und Informationsstelle, wie wir es sind, ist meist ein Anlaufpunkt für Leute, die ein Problem haben. Wir richten uns mit unserer Stelle vor allem an junge Menschen. Die haben zuerst oftmals das Problem mit Cannabis – die Droge wird typischerweise schon im Jugendalter konsumiert. Mit Kokain und Amphetaminen geht es hingegen meistens erst im Erwachsenenalter los. Dadurch haben wir deutlich mehr Cannabis-Fälle als alles andere. Die aufputschenden Drogen spielen aber zunehmend auch eine Rolle.

Hatten Sie schon mit Potsdamer Crystal-Meth-Konsumenten zu tun?
Ja, und wir verzeichnen auch einen kleinen Anstieg bei der amphetamin-bezogenen Beratung. Dabei unterscheiden wir in der Statistik aber nicht zwischen Crystal Meth und Speed. Ich würde davon ausgehen, dass es hier verfügbar ist, aber bislang nur zu einem hohen Preis. In jedem Fall bewegt sich der Crystal-Meth-Konsum aber auf ganz geringem Niveau und spielt sich eher in der Party-Szene ab.

Die Polizei hat die Erkenntnis, dass die Ausbreitung von Crystal Meth aus dem Süden des Landes in Richtung Nordbrandenburg langsamer vorangeht, als sie es erwartet hat. Warum ist das so?
Ich denke, dass hier zum einen die entsprechende Logistik-Struktur erst aufgebaut werden muss. Zum anderen sind die Leute hier bislang sehr vorsichtig, Gebraucher achten darauf, es sehr unauffällig zu nehmen. Ich gehe aber davon aus, dass sich Crystal Meth auch hier dauerhaft etablieren und die Verfügbarkeit höher wird.

  • Das Interview führte René Garzke

Rüdiger Schmolke, 46 Jahre, ist Politik- und Gesundheitswissenschaftler. Seit 2007 ist er Geschäftsführer der Potsdamer Suchtberatungs- und Informationsstelle Chillout e.V.
Von René Garzke

http://www.pnn.de/potsdam/1064493/
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