2016-01-16 PNN Der Sehnsucht folgen heißt einsam zu sein

Der Sehnsucht folgen heißt einsam zu sein

Futuristische Streitwagen-Fahrerinnen.

Das Potsdamer Choreografen-Duo Kombinat zeigt eine melancholisch-komische Zeitreise auf Rollern. Die hohe Kunst: Was sonst an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist, wird bei ihnen erhaben, elegant, unwirklich schön.

Durch die Zeit reisen. Wie schön wäre das. Klappt leider nur im Film, in der Literatur. Oder am Donnerstagabend in der Arena des Waschhauses, bei der Eröffnung des diesjährigen „Made in Potsdam“-Festivals. Das Stück, ein Hybrid aus Tanz, Musik und Performance, das hier uraufgeführt wird, heißt dabei ganz profan „Mein Touristenführer“. Drei Frauen haben Kombinat, das Potsdamer Choreografen-Duo aus Paula E. Paul und Sirko Knüpfer, hier auf die Reise geschickt. Noch dazu auf diesen lächerlichen Gefährten, als Segways bekannt, die eben gerne von Touristen zum anstrengungslosen Sightseeing genutzt werden.
Anstrengungslos, ja schwebend, bewegen sich auch die drei Tänzerinnen auf den lautlosen Dingern, beschleunigen, fliegen um Kurven zwischen den quer durch den Raum verteilten Zuschauerreihen, drehen endlose Pirouetten. Lächerlich allerdings wirken sie keine Sekunde, sondern wie Kriegerinnen, Amazonen, Engel aus anderen Sphären.

Nie lässt es sich schneller reisen als mit Musik
So klingt auch erst mal die Musik: von fern, vermischt mit Meeresrauschen. Irgendwie beruhigend – und trotzdem ziept darunter schon eine Unruhe, die Sehnsucht vielleicht oder das Wissen um die Gefahren einer Reise.
„Follow me, to another galaxy“, singt Christine Jensen, eine der Performerinnen im hellen Sopran eines Kunstlieds. Schon ist man – irre, wie schnell es sich mit Klängen reisen lässt – irgendwo im 18. Jahrhundert, nur um sofort wieder in die bittere Gegenwart gerissen zu werden. „Ground control to Major Tom“, beginnt ein Dialog – dass das David-Bowie-Zitat einen derart trifft, war von Kombinat sicher nicht geplant. Wer hatte schon damit gerechnet, dass der schönste Raumfahrer aller Zeiten am vergangenen Montag starb?
Dialog, das muss man vielleicht dazusagen, ist das falsche Wort. Es gibt hier kein Narrativ, die ganze Inszenierung funktioniert wie die Musik selbst: Sie erzählt etwas ohne Plot. Es gibt deshalb in diesem Stück nur bruchstückhafte Dialoge, eigentlich sind es Collagen aus Zitaten, Liedern, Lyrik. Manchmal dauert es einen Moment, bis man ihre Herkunft erkennt, etwa bei „Wir müssen weg hier / Raus aus dem Wald / Verstehst du nicht? Wo ist dein Schuh / Du hast ihn verloren / Als ich dir den Weg zeigen musste.“ Weil die drei Frauen auf ihren futuristischen Fahrzeugen, mit ihren schmal anliegenden – an mittelalterliche Helme erinnernden – Kappen, eine solche Entfremdung erzeugen, tappt man oft ein wenig im Dunkeln, bevor man erkennt: Klar, das ist Falco mit seinem gruseligen „Jeannie“, in dem er vom Missbrauch eines Mädchens erzählt. Ist es also nur eine falsche Solidarität, dass sich Tanja Watoro, Christine Jensen und Maria Arnold gerade an dieser Stelle über ihre Lenker hinweg aneinanderschmiegen – eine Art Stockholm-Syndrom?

Reisen geht nur alleine - alles andere ist Tourismus
Nach genau diesem Mechanismus funktioniert „Mein Touristenführer“ die ganze Zeit. Es wird, durch die eleganten, geschmeidigen Bewegungen der Performerinnen, durch Musik und Text, Schönheit geschaffen – und sofort gebrochen. Verwirrung gestiftet. Mal weil die Musik bedrohlich wird, mal weil wieder ein düsterer Fetzen Text gesprochen wird. Genauso schwappt ihr Tanz ständig hin und her zwischen angedeutet slapstick-artiger Komik und dem ganz großen Schmerz. Denn so schnell sie sich auch bewegen und bremsen können, so souverän sie ihre Gefährte beherrschen – so wenig schaffen sie es, sich wirklich einander anzunähern. Jede bleibt einsam.
Das trifft es. Der Sehnsucht folgen heißt einsam sein: Reisen, die Begegnung mit dem Neuen, funktioniert ja sowieso immer nur alleine. Egal ob durch Raum oder Zeit. Weil man mit einem Gefährten an der Seite immer in der eigenen Herkunft verhaftet bleibt, nicht loskommt und sich deshalb nie wirklich einlässt auf das Fremde. Alles andere – Gruppenreisen etwa – mag Tourismus sein, etwas, das sich eigentlich nur mit dem mühelosen Sightseeing auf Segways bebildern lässt. Der Clou bei Kombinat ist, dass sie die Segways nutzen, um genau das deutlich machen.
Von Ariane Lemme

http://www.pnn.de/potsdam-kultur/1041011/
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