2015-10-28 PNN Die temporäre Stadt

Die temporäre Stadt

Urbane Gemeinschaftsgärten auf Brachflächen, Strandbars und Start-up-Büros in ehemaligen industriellen Lagerhallen. Zwischennutzungen sind heute fester Bestandteil unserer Städte.
Zum Wissenschaftsjahr 2015 zur „Zukunftsstadt“ schreiben Forscher des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) über ihre Projekte.

In den vergangenen 25 Jahren haben sich Zwischennutzungen in Deutschland fest etabliert. Dass es so weit kommen konnte, liegt auch an den zahlreichen und teils extrem unterschiedlichen Anknüpfungspunkten in unseren Städten. Denken wir Konzert- oder Ausstellungsräume in ehemaligen Fabriken, dann wird die kulturelle Bedeutung der Zwischennutzung deutlich. Im Zuge der Flüchtlingskrise werden Baumärkte zwischenzeitlich als Notunterkünfte genutzt, sodass eher die Bedeutung für die Sozialarbeit in den Vordergrund tritt.

Oft werden gerade die bunten, temporären – und nicht immer legalen – Nutzungen mit dem Bild des wiedervereinigten Berlins oder der sich neu erfindenden Stadt Leipzig verbunden. Mittlerweile sind derartige Projekte aber längst nicht mehr auf transformierende Städte mit einer hohen Zahl von Freiflächen und niedrigem Immobiliendruck beschränkt. Vielmehr hat die temporäre Nutzung ihren Weg in die strategische Stadtplanung gefunden und wird teilweise sogar öffentlich gefördert.

In Stuttgart wurde beispielsweise im Jahr 2012 ein öffentlicher „Service Zwischennutzungs- und Leerstandsmanagement“ eingerichtet, in Hamburg waren Zwischennutzungen in die Planungen zur Hafencity eingebunden und auch in Brandenburg wurden Projekte wie etwa „Hier ist der Garten“ in Cottbus oder die jüngst ausgelaufene Potsdamer Integrationsinitiative „Austausch am Kanal 57“ umgesetzt. Sowohl öffentliche als auch private Eigentümer binden Zwischennutzungen zunehmend in ihr Flächenmanagement ein. Kreative, Jugendliche und Senioren treten gleichsam als Zwischennutzer auf.

Im IRS-Forschungsprojekt „Innoplan“ wird die Entwicklung dieses Phänomens von seinen Wurzeln ergründet. Temporäre Nutzungen finden schon immer in unseren Städten statt, beispielsweise in Form von Messen und Märkten, aber auch durch Schrebergärten und Grabeland an Bahntrassen. Ihre Wurzeln liegen aber auch in der Hausbesetzerbewegung und den damit verbundenen Protesten gegen eine stark hierarchische Planung. Von den wilden Anfängen bis heute hat sich allerdings viel getan – oder, um es im Verständnis des Forschungsprojektes „InnoPlan“ zu sagen: Es wurde viel getan. Denn während solche Veränderungen im Planungshandeln zuvor vorwiegend als passiv beschrieben wurden, sehen wir Menschen mit ihren Zielen und Erfahrungen als die treibenden Kräfte an.
In der Nachwendezeit in Ostdeutschland, aber auch zeitgleich im deindustrialisierten Ruhrgebiet, kamen kreative Freiflächennutzungen auf, die noch heute bekannt sind, etwa im Spreeraum in Berlin. Zugleich verließ die temporäre Raumaneignung aber auch den Dunstkreis des Informellen, in Leipzig wurde beispielsweise in den späten 1990ern eine Gestattungsvereinbarung zur Förderung der Zwischennutzungen auf Brachen eingeführt. Aber auch Experimente mit Zwischennutzungen im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park riefen das damals noch experimentelle Verfahren auf den Horizont von Planern. Temporäres gilt seither nicht mehr als Stiefkind oder Ausdruck gescheiterter Entwicklungen, sondern als mögliche Quelle kreativer Raumnutzungskonzepte, die gerade Städte mit Strukturproblemen regenerieren können.

Seit Städte sich zunehmend um kreative Images bemühen, sind Zwischennutzungen nicht länger nur Problemlösung, sondern auch Standortfaktor. Heute bewegen sie sich im Spannungsfeld von Freiräumen für Kreative und Ansprüchen der Stadtplanung. Die lebendige Szene von kulturaffinen Zwischennutzern lässt sich nur ungern vereinnahmen – und will schon gar nicht Auslöser von Verdrängungseffekten sein. Das führt vermehrt zu Konflikten, mitunter auch innerhalb der Zwischennutzerszene: Die Motive früherer Zwischennutzungsakteure unterscheiden sich von denen heutiger zum Teil erheblich. Eine generelle Tendenz ist, dass ehemalige Zwischennutzer eine langfristigere Nutzungssicherheit anstreben, sich aber dennoch bestimmter Techniken, wie etwa der gestalterischen Improvisation, bedienen. Das Berliner Holzmarkt-Projekt ist ein gutes Beispiel dafür: In einem neu geschaffenen Quartier auf einem vormals zwischengenutzten Gelände werden kurzfristige und längerfristige Nutzungen kombiniert. Das Projekt wurde durch die finanzielle Unterstützung einer Stiftung ermöglicht, die als neuer Akteur ihre Ansprüche einbringt. Nicht zuletzt haben sich die ehemaligen Zwischennutzer selbst professionalisiert: Personen aus den Vorgängerprojekten wenden ihr Know-how zur temporären Nutzung mittlerweile sogar mit Projekten in verschiedenen Städten zugleich an.

Obwohl die Hochphase der Zwischennutzungen vielleicht bereits vorüber ist, hat sich das Instrument in der Palette einer zukunftsfähigen Stadtplanung fest etabliert, weil es eine große Lücke füllen kann: Wie plant man Kreativität? Systematisch Freiräume für unorthodoxe, informelle und ungewöhnliche Nutzungen zu bieten, kann ein Rezept sein für die Zukunftsfähigkeit der Städte.

Thomas Honeck ist Stadtgeograf und forscht am IRS im Projekt „Innovationen in der Planung“ über Raumpioniere und Zwischennutzungen in Planungsverfahren.

http://www.pnn.de/campus/1019064/
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