2015-10-24 MAZ Teilweise liegen die Nerven blank

Flüchtlinge in Potsdam
Stimmung wird schlechter in Potsdam
Die Flüchtlingswelle reißt nicht nur nicht ab, sie wird auch immer stärker. Offenbar wachsen damit auch die Sorgen der Bürger. Die jüngsten Informationsveranstaltungen in Potsdam zeigen, wie viel Aufklärungsarbeit noch nötig ist, denn der Ton in den Diskussionen wird immer schärfer.

Potsdam. Bislang 14 mal hat sich die Stadtverwaltung vor ihre Bürger gestellt und Aufklärung versucht, zwei weitere Informationsveranstaltungen zu neuen Unterkünften folgen noch. Stets bekommen die Bürger einen aktuellen Stand der Flüchtlingsunterbringung und einen Ausblick. Die beiden jüngsten Anwohnerversammlungen in Neu Fahrland und in Drewitz offenbarten, das die Nerven der Menschen vielfach blank liegen. Die Angst vor Überfremdung und Übergriffen wächst, Klischees und Vorurteile werden laut. Die MAZ zieht hier eine Bilanz bisheriger Veranstaltungen.

Erstaufnahmestelle am Horstweg

  1. September: Die Versammlung zur Erstaufnahmestelle auf dem früheren Gelände des Sozialministeriums hat die höchsten Gäste: Innenminister Karl-Heinz Schröter ist da, Frank Nürnberger als Chef des Erstaufnahmelagers Eisenhüttenstadt, Kämmerer Burkhard Exner. Und die Polizei, neben Einsatzchef Michael Scharf vor allem Zivilbeamte. Das bringt die linksalternativen Helfer vom Aufnahmeheim Heinrich-Mann-Allee in Rage. Es gibt Fragen zur medizinischen Versorgung, zur Flüchtlingsregistrierung. Die Helfer fordern, die Flüchtlinge müssten in Potsdam bleiben. Das ist so nicht geplant, wird aber zugesichert.

Stadtvillen, Berliner Vorstadt

  1. September: „Willkommen“ könnte über der Veranstaltung an der Schiffbauergasse stehen. Die Bürger haben viele Fragen, aber keine Angst vor den Flüchtlingen. Die Furcht vor Überfremdung wird als deutschlandweites Problem genannt. 170 Asylbewerber sollen in einem Büro- und einem Mietshaus unterkommen; beide stehen leer. Die Berliner Straße 79 an der Glienicker Brücke soll Ende Oktober bezugsfertig sein, die Nummer 103 an der Humboldtbrücke im Frühjahr 2016. Theaterintendant Tobias Wellemeyer bietet den Flüchtlinge alle Veranstaltungen kostenlos an; Filmregisseur Rainer Simon will seine Werke zeigen.

**Leichtbauhallen bei Freiland **

19. Oktober: In der Sporthalle der Comenius-Schule geht es um den Leichtbauhallen-Standort neben Freiland. Das Soziokulturzentrum wollte statt mobiler Hallen feste Unterkünfte und geriet ins Zwielicht, Flüchtlinge abzulehnen. Aber Freiland will alles für die Asylbewerber nebenan tun, solange es nicht den Betrieb des Zentrums stört. Ängste vor der Verdrängung deutscher Kinder durch Flüchtlingskinder in den Kitas, vor mehr Kriminalität und vor Krankheiten werden laut; aber Kinder in Potsdam bekommen einen Kita-Platz; alle Flüchtlinge werden medizinisch durchgecheckt; es gibt nicht mehr Kriminalität.

Leichtbauhallen in Neu Fahrland

  1. Oktober: Im Norden ist die Luft dünner für die Stadtverwaltung, die in nahe des Bürgertreffs und einer Kita zwei Leichtbauhallen plant. In einem offenen Brief werden Flüchtlinge als Gefahr für einheimische Kinder bezeichnet. Schon 2013 hatten Bürger gegen Flüchtlinge protestiert. Jetzt kommen so viele Bürger, dass die Info-Veranstaltung vom Bürgertreff ins Freie verlegt wird. Im Mittelpunkt steht das Sicherheitsbedürfnis der Bürger, die den Zaun um die Kita erhöhen wollen. Die Stadt-Vertreter werden ausgelacht, als sie die Lage erklären. Es gibt aber auch Hilfsangebote an Flüchtlinge und dazu eine Folgeveranstaltung.

Leichtbauhallen in Drewitz

  1. Oktober: Von Anfang an zorngeladen ist die überfüllte Veranstaltung in der Priesterwegschule, der gegenüber im Herbst zwei Leichtbauhallen stehen sollen. Der Stadt und dem Bund werden Versagen und Betrug vorgeworfen; Flüchtlinge würden besser behandelt als Deutsche; sie seien zudem eine Gefahr für die Kinder, wird behauptet. Es wird gebrüllt und gewettert; die Wutausbrüche einer Handvoll Drewitzer werden breit beklatscht und bejubelt, während sich die andere Hälfte in der Schulsporthalle in Schweigen hüllt oder von der Veranstaltungsleitung übergangen wird. Nur wenige Vernunftsappelle werden geäußert.

Von Rainer Schüler