2015-10-21 PNN Swing und Slam

Swing und Slam

Mittwochabend, Herbstkälte, Regenwetter. Und eine ausgewachsene Menschenschlange vor dem Waschhaus: Havelslam, wie jeden dritten Mittwoch im Monat. Der Slam-Poetry-Wettbewerb ist mittlerweile der einzige Potsdams, nachdem der PotSlam im Spartacus zur Lesebühne PotShow geworden ist. Am vergangenen Mittwoch fand er zum immerhin 42. Mal statt: nicht wenig für eine monatliche Veranstaltung. Dennoch: Nicht jeder kam in den Saal, manche mussten wieder nach Hause geschickt werden.

Und die verpassten nicht nur einen Literaturwettbewerb, sondern zunächst auch die großartige Swingband Ohrenblumen, die an diesem Abend so herzerfrischend die Parallelunterhaltung machte, dass Literatur direkt in den Hintergrund trat: Das Trio um Sängerin Isa Weiß spielte Coversongs wie Zarah Leanders „Nur nicht aus Liebe weinen“, aber auch Chansons über zerstörte Laptops.

Aber zurück zur Literatur. Slam Poetry ist ein Wettbewerb, bei dem es wenige Regeln gibt: Selbst geschriebene Texte, keine Requisiten, fünf Minuten Bühnenzeit maximal. Über den Erfolg entscheidet eine Publikumsjury – und die besten zwei treten im Finale gegeneinander an.

Mit an Bord ist zum Beispiel Aidin Halimi, ein Friedrich-Engels-Lookalike, der ausgerechnet über seine redundante Körperbehaarung rezitierte: „Wären meine Haare Bäume, könnte ich den Sauerstoffhaushalt eines ganzen Kontinents regulieren.“ Die Lacher sind auf seiner Seite, fürs Finale reicht der Auftakt jedoch noch nicht. Paul Weigl überfrachtete seinen hastigen Text über Muttermilchkäse mit etwas zu zahlreichen Pointen und rauschte damit knapp vorbei an der Nominierung, ebenso wie Nachfolgerin Katharina Huboi, die leise über Kommunikationsebenen rappte, denen der Sockel bröckelt. So waren die letzten beiden Kandidaten auch die Finalisten: Nämlich Maximilian Humpert, der nicht nur auswendig sprach, sondern im „Modus der Zurückgewinnung durch Flehen“ fein ironisch Beziehungskisten auseinanderpflückte, sowie Marvin Weinstein, der ungeachtet seines Namens literarische Doldenhopfen auf Weltreise zur Biererkundung schickte. Das kam natürlich an beim studentischen Publikum.

Erstaunlich, dass es gerade Humpert war, der in einem überraschend ernsten Finale ausgerechnet das Stilmittel der Ironie anprangerte: „Ironie ist das Schutzschild, hinter dem man sich verstecken kann.“ Dagegen blieben für Weinstein nur witzige Punchlines. Seine Verballhornung vom Studentenleben war zwar rhetorisch und inhaltlich makellos, die Erschütterung über Humperts philosophischen Exkurs saß jedoch offenbar noch zu tief. Am Ende entschied der Applaus für den Kölner Humpert, der mit einer Stofftasche voller Klimbim als Preis die Bühne verließ. Ein viel zu schnell vergangener Abend, der dem Waschhaus die Empfehlung hinterließ, nach einer größeren Bühne zu suchen. Warum auch nicht: Sogar die PotShow im Spartacus muss ja trotz größeren Fassungsvermögens so manchen Zuschauer vor der Tür stehen lassen.
Von Oliver Dietrich

http://www.pnn.de/potsdam-kultur/1124036/
2015-10-21 PNN Swing und Slam .pdf (54,8 KB)