2015-08 HEVELLER FreiGarten – gemeinschaftliches Gärtnern im freiLand

FreiGarten – gemeinschaftliches Gärtnern im freiLand

Wie seid Ihr auf die Idee gekommen das ehemalige Gelände der Flugzeugwerke zu beackern?

Für mich war es naheliegend, eine triste, versiegelte Fläche zum Blühen zu bringen – jeder Zentimeter Freiraum sollte genutzt werden, um grün zu werden, die Biodiversität zu erhöhen und nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Tiere die Aufenthaltsqualität in der Stadt zu steigern. Was die wenigsten wissen: Die Artenvielfalt in Großstädten ist mittlerweile erheblich größer als in den industriell ausgeräumten und überdüngten Monokulturen des Landes. Auf dem freiLand-Gelände haben wir zum Beispiel Fledermäuse, daher ist es sinnvoll, das Gelände so zu gestalten, damit sie leichter Futter finden. Durch Wildblumen z.B. erhöht sich die Dichte der Insekten und somit finden die Fledermäuse mehr oder besser Nahrung. Bienen sollte man sowieso so viel Nahrung wie möglich bieten, denn sie sind essentiell für unser Ökosystem – von dem wir alle abhängen.
Warum nennt Ihr das Projekt „Urban Gardening“ und nicht Freilandgarten oder Stadtgarten?

Die Initiative heißt „freiGarten“ – und wir sehen uns in der Urban Gardening-Tradition (in der Stadt gärtnern). Urban Gardening ist mehr als die individuelle Suche nach einem schön gestalteten Rückzugsort in der Stadt. Mit dem Phänomen des gemeinschaftlichen Gärtnerns hat sich eine neue, kollektive Bewegung formiert, die man weltweit beobachten kann. Dabei geht es um eine nachhaltige und partizipative Stadtentwicklung, soziale und ökologische Funktionen der urbanen Landwirtschaft sowie zukunftsfähige Ernährungssysteme. Gärtnern ist für mich politisch – denn es gibt mir ein Handlungswissen wieder und verbindet mich wieder mit dem Elementaren: der Nahrung, ohne die wir nicht leben können. Mein Lieblingsspruch ist: „Gardening is cheaper than therapy and you get tomatoes.“ (Gärtnern ist billiger als Therapie, und du bekommst Tomaten)

Gibt es eine Konzeption, die einem gewissen Grundgedanken folgt?

Der freiGarten bietet Fläche an für diejenigen, die gärtnern und ausprobieren wollen. Für mich sind die Prinzipien und Methoden der Permakultur die Grundlage meines Tuns. Permakultur bedeutet Gestaltung – nicht nur von Gärten und Landwirtschaft, sondern auch Gestaltung des eigenen Lebens. Ich möchte ausprobieren, wie nachhaltiges Leben im urbanen Kontext funktionieren kann: im Hinblick auf die „Fürsorge für die Erde“, den ökologischen Fußabdruck, Anbau und Ernte von essbaren Pflanzen, aber auch, was Humusaufbau und das soziale Miteinander betrifft. Es geht um die Gestaltung, wie wir in Zukunft in Städten leben wollen!
Zu einer zukunftsweisenden Entwicklung gehört auch ein neues Verhältnis zwischen Stadt und Land. Unser Einfluss als Stadtbewohner auf Arbeitsverhältnisse, Ökosysteme und auch Migrationsbwegungen auf dem Land ist enorm. Durch Formen solidarischer Landwirtschaft, durch Kooperationsprojekte mit Höfen und Initiativen im ländlichen Raum (z.B. Erhaltung von Saatgut/Pflanzentauschmärkte), durch partizipative und gemeinsame politische Bildungsarbeit können urbane Gärten als Brücken zwischen Stadt und Land verstanden werden.

Habt Ihr schon etwas geerntet?

Dieses Jahr noch nicht so viel – jetzt werden aber gerade die Erdbeeren reif, die Johannisbeeren, die ersten Frühkartoffeln kann man aus dem Boden holen und die Radieschen sind schon aufgegessen. Wenn die große Zucchini-Schwemme kommt, muss der Mittagstisch im freiLand eventuell darauf regieren, denn wenn wir uns in der Gemüseproduktion verbessern, könnte es auch ein schönes Zusammenspiel zwischen Café und Garten werden! Kräuter haben wir jetzt schon im Angebot, v.a. essbare Wildkräuter wie Borretsch, Melde, Schafgarbe und Rauke.

Was habt Ihr in diesem Jahr angebaut?

Wir haben verschiedene Gemüsebeete angelegt mit unterschiedlichen Mischkulturen – im Prinzip ist es ein Learning by doing – ein großes Experiment. Z.B. habe ich die „Drei Schwestern“ angelegt – das Milpa-System aus Mittelamerika, was eine alte und bewährte Form der Mischkultur ist: Mais, Bohne und Kürbis. Wir haben sehr viel Kartoffeln, Sorte Linda, weil uns davon ein großer Sack geschenkt worden ist. Generell lebt der freiGarten vorrangig von Spenden: wir säen oder pflanzen das, was uns geschenkt wird. Z.B. haben wir eine sehr großzügige Kompost-Spende bekommen und Grassamen und somit konnten wir neue wunderbare Rasenfläche anlegen, die zum Sitzen einlädt – vorher war die Fläche mit Pflastersteinen versiegelt. Ansonsten haben wir noch Meerrettich, Buschbohnen, Zucchini, Kürbis, Mangold, Salat, Tomaten und vieles, vieles mehr! Außerdem habe ich eine Schmetterlingstankstelle angelegt mit Fraß- und Weidepflanzen für Schmetterlinge.

Für mich ist es wichtig, die Wildnis stehen zu lassen: wir lassen willentlich Felder von Brennsesseln stehen, denn – wie jeder Gärtner weiß – ist ihr Wert unschätzbar für Mensch und Tier. Da stoße ich allerdings manchmal auf Widerstand und muss Überredungsarbeit leisten – denn das Thema „Unkraut“ hat sich leider in das kollektive Gedächtnis eingebrannt und muss erstmal wieder „durchbrochen“ werden. Oft sind die „Unkräuter“ die mächtigsten unserer heimischen Heilpflanzen!

Welche Resonanz gibt es in der Öffentlichkeit?

Je mehr blüht und wächst, desto mehr nehmen die Menschen, die ins freiLand kommen, auch wahr, dass sich da jemand drum kümmert. Die Sitzflächen, die entstanden sind und von Blumen umsäumt sind, werden gerne genutzt. Das Feedback, das wir bekommen, ist sehr erfreulich. Außerdem gibt es auch viele andere Gemeinschaftsgartenprojekte in Potsdam und auch das wird zunehmend wahrgenommen!

Wir bekommen Anfragen für Spenden, Nachfragen, ob Leute mitmachen können (was jeder gerne jederzeit machen kann!) und alle freuen sich mit, wenn die Saat aufgeht!

Alexa Junge ist Ethnologin und arbeitet als Kulturmanagerin im Bereich Tanz und kulturelle Bildung in Berlin und Potsdam. Zur Zeit macht sie die Ausbildung zur Permakultur-Designerin. Das dringende Bedürfnis, ins Handeln zu kommen “für die Erde”, hat sie zur Permakultur geführt. Daraus ist auch der freiGarten (www.freigartenpotsdam.org) im Kulturzentrum freiLand entstanden: eine Initiative von Menschen, die Lust auf Gärtnern, Lernen und Ernten haben. Der freiGarten ist ein Labor – hier geht es um DIY (Do It Yourself), Action Learning und Gestaltung von Freiräumen.

QUELLE:August 2015, HEVELLER