2015-07-27 PNN Die Ruhe vor dem Sturm

Die Ruhe vor dem Sturm

Das „Streetopia“-Festival im Freiland feierte seinen fünften Geburtstag mit Streetart und Hip-Hop-Jams

Hip-Hop entspannt: Die Menschen reden miteinander, sitzen mehr, als dass sie stehen, weil die Musik immer ein wenig mehr im Hintergrund läuft. Von daher war es eine gute Idee, den fünften Geburtstag des „Streetopia“-Festivals im Kulturzentrum Freiland am vergangenen Wochenende als internationale Hip-Hop-Jam zu feiern. Vielleicht passt Hip-Hop aber auch einfach am besten zu einem Streetart-Festival.

Begonnen hatte das Festival 2011 als studentisches Projekt des Studiengangs Kulturarbeit an der Potsdamer Fachhochschule, damals noch unter dem etwas sperrigen Namen „HipHop’n Youth Culture“ – im darauffolgenden Jahr wurde der Name in „Sub’n Youth Culture“ modifiziert, seit dem letzten Jahr heißt das Festival kurz und präzise „Streetopia“. Und es hat sich etabliert, auch wenn es mitten in der Festivalsaison und zeitgleich zur „Stadt für eine Nacht“ in der Innenstadt stattfindet.

Am Freitagnachmittag begann das „Streetopia“ ganz entspannt, gut 30 Künstler waren angereist, um dem Gelände einen neuen Anstrich zu verpassen – wobei man die Kunstwerke, die aus Graffitidosen gesprüht werden, eher nicht als Anstrich bezeichnen kann: Dass so detaillierte, filigrane Bilder aus simplen Spraydosen entstehen können, ist beeindruckend. Nachdem man sich an das blaue Wandbild mit Tiefseemotiven am Spartacus gewöhnt hatte, war der Wechsel auf Rot doch etwas gewöhnungsbedürftig – bis auf die dominierende Farbe war jedoch zunächst nicht allzu viel zu erkennen, Graffiti braucht Zeit und mehrere Farbschichten, um entstehen zu können. Im Vorfeld gab es einen Austausch mit Streetart-Künstlern in Kirgistan, Potsdamer und kirgisische Jugendliche veranstalteten dort ein Festival – drei der kirgisischen Künstler waren jetzt im Freiland zu Gast.

Während überall der Geruch von Lack und Farbe durch die Sommerluft waberte, wummerten die Bässe von der Taktart-Lounge. Als gegen Abend der erste Liveact anstand, füllte sich das Gelände – die Potsdamer Jugend geht spät aus dem Haus. Das Potsdamer Duo Drose&Gift brachte textkonzentrierten Hip-Hop im Zeitlupentempo, über Menschen, die sich am Rand befinden: weniger zum Tanzen als zum Zuhören. Der Rapper Venomous 2000 hatte wohl die längste Anreise: Eben war er noch in New Jersey an der amerikanischen Ostküste, nun Open Air in Potsdam – amerikanischer Hip-Hop schlägt im Coolness-Faktor alle Mitbewerber. Das war pures Kopfnicken und Party. Da fiel das Konzert von Tokamak Reaktor aus Dresden im Anschluss etwas aus der Reihe: Die Postrock-Band verzichtete ganz auf Gesang, dafür wurde ein psychedelischer Klangteppich gewebt, der sich an zahlreichen musikalischen Elementen bediente, fast ein wenig wie Live-Drum-’n’-Bass – perfekt. Wer wollte, konnte sich anschließend auf der Aftershow-Party im Spartacus austoben bis zum Morgengrauen.

Eigentlich hätte der Samstag genauso weitergehen sollen – für die Künstler kam aber ein schwieriger Faktor hinzu: der Wind. Präzises Arbeiten mit dieser filigranen Technik ist nämlich schwierig, wenn immer wieder Windböen dazwischenfunken. Aufgeben will jedoch so schnell keiner: Ein guter Vorstrich sei die halbe Miete, dann hält auch die Farbe, falls es draufregnet – wobei man auf einer nassen Wand nicht arbeiten könne. Aber auch wenn der Regen ausblieb, machte der Wind die Arbeit fast unmöglich. Nachdem alles versucht wurde, vertagten die Künstler die Fertigstellung auf Sonntag und sammelten die vom Wind verteilten Spraydosen ein. Nora Stelter vom Freiland, die das „Streetopia“-Festival koordinierte, war trotzdem entspannt: „Eigentlich läuft es richtig gut“, da müsse man sich nicht die Laune vom Wetter verderben lassen. Dem Potsdamer Verein Chill-Out machte der Wind jedoch einen Strich durch die Rechnung: Nachdem der Stand umgerissen wurde, warfen die Beteiligten das Handtuch und packten ein. Auch das Archiv gab seinen Stand draußen auf und zog ins Haus 2 – am Ende wurde aus dem Open Air eben ein Indoor-Festival, die Konzerte fanden im Haus 2 oder im Spartacus statt.

Zum Beispiel mit Finest, der mit Band einen entspannt-jazzigen Sound hinlegte, oder Torkel Tim, der gleich die Release-Party zum neuen Album auf das „Streetopia“ verlegte. Oder das Potsdamer Duo Jay-cop Toyfel & Retardo, deren Texte mit an Bitterkeit grenzender Ironie gefüllt waren, während DJ Zombie unter seiner Maske schwitzte. Der Hauptact war dann das Londoner Label „Subaltern Records“, das mit finster-paranoidem Dubstep aufwartete. Hatte elektronische Musik einst mit Geschwindigkeit provoziert, bringt Dubstep das totale Gegenteil: brutale Entschleunigung bis hin zur Zeitlupe. So etwas kann natürlich nur aus dem Vereinigten Königreich kommen.

Am Sonntag ging das „Streetopia“ ganz entspannt mit dem traditionellen Flohmarkt auf dem Freiland-Gelände zu Ende. Wie schnell doch so ein fünfter Geburtstag zu Ende sein kann.
Von Oliver Dietrich

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