2015-03-20 PNN Im Herzen ein Rebell

Im Herzen ein Rebell

Singen. Arbeiten. Nicht schlafen. DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann. Foto: dpa

Gerhard Gundermanns 60. Geburtstag im Freiland

Ausgerechnet Gerhard Gundermann. Sprachrohr der ostdeutschen, postdiktatorischen Gesellschaft, der „singende Baggerfahrer aus der Lausitz“. Der, der in so rotzigen wie zärtlichen Liedern den Alltag in der niedergehenden Industrie des Arbeiter-und-Bauern-Staates beschrieb, der sich vehement dagegen wehrte, dass seine Musik kommerzialisiert wird und sich für dieses Ideal so verausgabte, dass er nach seinen Konzerten und kaum Schlaf wieder im Bagger saß, im Lausitzer Braunkohlerevier. Der mit nur 43 Jahren an einem Hirnschlag starb, vielleicht, weil er sich nie Ruhe gegönnt hatte. Ausgerechnet er, der „wegen unerwünschter eigener Meinung“ aus der SED ausgeschlossen wurde, der soll als Inoffizieller Mitarbeiter bei der Stasi gewesen sein. Das wurde 1995, drei Jahre vor seinem Tod, bekannt.

Ein Einschnitt: Weggefährten wenden sich ab, es folgen Scham, Erklärungsnot – Gundermann wird gebrandmarkt mit dem schlimmsten Attribut, das sich ein Mensch, der so viel zu sagen hat, vorstellen kann: Unglaubwürdigkeit. Dabei handelte er vielleicht sogar aus Idealismus: „Die ganzen Dinger mit Planschwindel aufdecken, melden, wenn die Chefs im Betrieb klauen, die Forderungen nach mehr Geld für die Basiskultur in Hoywoy, das ist alles okay“, sagte er der „Jungen Welt“. Aber er habe damit eben auch die Idee des Sozialismus verraten: „Was scheiße ist, sind die persönlichen Sachen. Die Petzberichte, diese widerlichen Arien.“ 1984 schmiss ihn die Stasi wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ dann auch gleich wieder raus.

Vielleicht wäre Gerhard Gundermann, der am 21. Februar seinen 60. Geburtstag gefeiert hätte, trotzdem unter diesem Damoklesschwert im kulturellen Keller der Nachwendezeit verschwunden. Vielleicht ist es aber auch der raue Wind des Kapitalismus, der gerade weht, der eine Renaissance der gundermannschen Ansichten so notwendig macht.

Denn seine Lieder kehren zurück: Nicht nur der Potsdamer Regisseur Andreas Dresen hat zu Gundermanns 60. Geburtstag gemeinsam mit Axel Prahl, Judith Holofernes und Gisbert zu Knyphausen einen Abend mit dessen Songs im Berliner Kesselhaus veranstaltet, auch in Potsdam selbst beschäftigten sich Weggefährten und junge Musiker mit ihm. Herausgekommen ist ein Doppelalbum „Gundis Lieder. Gundis Themen“, das auf Initiative des Kulturzentrums Freiland im Potsdamer „Showcase“-Studio bei Jörg Zinke aufgenommen wurde. Viele Potsdamer Musiker sind auf dem Album zu hören – Ruben Wittchow, Krogmann, das Duo Hand in Hand –, aber auch bekannte Liedermacher wie Stefan Stoppok oder Konstantin Wecker. Matt Sweetwood hat über das Projekt einen Dokumentarfilm gedreht. Der wird am heutigen Freitag im Freiland gezeigt, anschließend gibt es ein Record-Release-Konzert.

"Gundermann war kein klassischer Liedermacher, sondern im Herzen ein Rebell“, sagt Achim Trautvetter vom Freiland, der mit 16 das erste Mal Gundermann hörte und seitdem total überwältigt ist. Gundermann habe es ernst gemeint mit dem Sozialismus, das Proletariat müsse am Kulturbetrieb beteiligt, die Klassengegensätze aufgehoben werden. Seine Idee eines gesellschaftlichen Bewusstseins für Nachhaltigkeit nivelliere schließlich die Ost-West-Geschichte, findet Trautvetter. Er sagte sofort zu, als Pierre Wilhelm vom Kulturhaus Plessa in der Niederlausitz, mitten in Gundermanns Revier, das Freiland für das Album mit ins Boot holen wollte. Eigentlich sollte das Plessaer Baudenkmal für einen Supermarkt abgerissen werden, was die Plessaer verhinderten – der Sanierungsantrag wurde nicht nur von Gundermann-Fans, sondern auch von Andreas Dresen und Axel Prahl unterzeichnet: Ein Konzertabend war das Dankeschön. Wilhelm war auch die Triebfeder des Projektes, holte Fördergelder von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von brandenburgischen Ministerien.

Verkauft werden darf die CD nicht: Die erste Auflage von 1000 Stück geht an Schulen und Bibliotheken, die Förderbedingungen schließen den kommerziellen Vertrieb an Privatpersonen aus. Alle Künstler arbeiteten ehrenamtlich, die Einnahmen des Konzertes gehen komplett an eine Spendenaktion auf betterplace.org, die die Verteilung der CD auch an Fans ermöglichen soll.

Ich bin selbst erstaunt, wie das gerade duchschlägt“, sagt Trautvetter. Gerade weil auch junge Künstler die Annäherung an Gundermann wagten, auch die, die ihn vorher gar nicht kannten. Herausgekommen ist kein Album mit Coversongs von Gundermann, sondern eine Annäherung: Auf einer CD spielen die Künstler Lieder von ihm, auf der anderen steuern sie jeweils einen Song bei, der sich inhaltlich mit Gundermanns Themen auseinandersetzt. Dass diese Themen auch 30 Jahre später nichts an Aktualität eingebüßt haben, ist dabei die schönste Erkenntnis, findet Trautvetter: „Für mich ist es ein Geschenk, daran beteiligt zu sein, dass seine Songs wieder aktuell werden.“
Von Oliver Dietrich

http://www.pnn.de/potsdam-kultur/949108/
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