2014-07-18 PNN Der Mönch und die Sprayerin

Der Mönch und die Sprayerin

Die Leser sollen die Graphic Novel „Hemispheres“ weiterentwickeln – beim „Streetopia-Festival“

Bedrohlich baut sich eine futuristische Häuserfront im Hintergrund auf. Einsam schlängelt sich die dunkle Straße auf die Stadt zu. Links und rechts erstrecken sich trostlose Slumsiedlungen, die sich wie Wellen an den Stadtmauern brechen.

Es ist ein düsteres, ein beklemmendes Zukunftsbild, das Christopher de la Garza, Sascha Grusche und Simon Pape in ihrem Graphic-Novel-Projekt „Hemispheres“ abbbilden. Es ist aber auch eines, das den Betrachter wachrüttelt, ihn mit der Nase in aktuelle gesellschaftliche Probleme eintunkt und ihn zum Nachdenken über das eigene Leben anregt. In insgesamt drei Bänden wird die gezeichnete Geschichte des buddhistischen Mönchs David Shakara erzählt, der sich auf eine Reise in die Großstadt aufmacht, um ein Medikament für seinen kranken Klosterbruder zu besorgen. Dort angekommen gerät er zwischen die Fronten zweier Welten. Irgendwo zwischen spiritueller Klosterwelt und Großstadtkapitalismus sucht er nach Wegen zu einer besseren Welt, in der alle glücklich leben können. Unterstützung bekommt er dabei von der weiblichen Protagonistin, einer kreativen Graffiti-Künstlerin.

Seit 2012 arbeiten die drei an dem Projekt, das sie beim heute und morgen stattfindenden „Streetopia- Festival“ auf dem Freiland-Gelände vorstellen werden. Jeder ist dabei für ein anderes Gebiet zuständig: Der 26-jährige Unternehmensgestalter Christopher de la Garza liefert die Geschichte, der 28-jährige Künstler und Physiker Sascha Grusche die wunderbaren Illustrationen und der 26-jährige Graffiti-Künstler und Mediengestalter Simon Pape entwirft die Graffiti der weiblichen Hauptperson. Mit viel Liebe zum Detail nimmt das Projekt nach und nach Gestalt an.

Inzwischen sind achtzehn Seiten des ersten Bandes „Corpus separatum“ fertig, zwölf weitere fehlen noch. Etwa hundert Stunden fließen in eine Seite, die jede für sich ein kleines Kunstwerk darstellt, das genau durchdacht ist. „Am Anfang steht immer ein Script, das genau beschreibt, was und wer auf der jeweiligen Seite abgebildet ist“, so de la Garza. „Bevor ich da nicht jedes Detail festgelegt habe, fängt Sascha nicht an zu arbeiten.“ In einer Rohzeichnung fertigt der Illustrator dann ein Storyboard an, das in einem Fotoshootoing mit echten Personen umgesetzt wird. Die Fotos werden dann wiederum in eine Bleistiftzeichnung umgewandelt, die erst mit schwarzer Farbe Kontur bekommt und im letzten Schritt mit Acrylfarben coloriert wird.

Die Gegensätze zwischen den beiden Welten werden in den Bildern klug herausgearbeitet: Während die spirituelle Welt des Mönchs in warmen, weichen Erdfarben gezeichnet ist, wird die Stadt dunkel gehalten. Nur ab und an finden sich Farbtupfer, die aber dann so grell sind, dass sie die beklemmende Atmosphäre nur noch unterstreichen. Bei aller Gegensätzlichkeit finden sich aber auch verbindende Symbole. So taucht das Motiv der Halbkugel sowohl als buddhistischer sakraler Ort in Form einer Stupa als auch als technisch ausgefeilte, schwebende Weltzeituhr auf. „Es geht ja auch darum, dass die beiden Welten miteinander verwoben sind“, sagt de la Garza. „Und dass sie zusammen nach Lösungsansätzen suchen müssen.“ Oftdienen auch Bilder von großen Künstlern als Vorbild für die Graphic Novel. „Das Eingangsbild der Stadt mit der großen Häuserfront ist zum Beispiel dem Gemälde ,Die Toteninsel’ von Arnold Böcklin nachempfunden“, sagt de la Garza. „Wir haben es nur modernisiert. Statt Wellen gibt es die Slums, die Felsen sind die Hochhäuser und so weiter.“ Wer genau hinschaut, entdeckt sogar einen perspektivisch verzerrten Totenschädel, der wiederum aus „Die Gesandten“ von Hans Holbein dem Jüngeren stammt. Auf einer anderen Seite sieht man schemenhaft die französische Nationalfigur Marianne, die durch das Bild „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix berühmt geworden ist. Durch den eingefügten Satz „Ceci n’est pas une révolution“ – zu deutsch: „Das hier ist keine Revolution“ – wird sie allerdings in ihrer Bedeutung umgekehrt und steht damit für die stagnierende Kreativität sowie die Hilflosigkeit der Menschen in der Großstadt.

Den ersten Band kann man laut de la Garza als Einführung verstehen. „Hier werden die Welten vorgestellt und das Problem in den Raum geworfen, welche Weichen wir stellen müssen, um so zu leben, wie wir leben wollen.“ Wie genau Band eins und zwei von „Hemispheres“ aussehen werden, wissen die Macher selbst noch nicht. Ziel ist es, die Geschichte zusammen mit den Lesern weiterzuentwickeln, wofür das „Streetopia-Festival“ die perfekte Plattform bietet. Dort wird Illustrator Sascha Grusche vor Ort weiterzeichnen und Portraits von Besuchern anfertigen. Die fertige Graphic Novel, die sowohl als Buch, als E-Book und als App herauskommen soll, wird mit einem Making Of erscheinen. „Unser Projekt war von Anfang an mitverfolgbar und soll es auch bleiben“, sagt de la Garza. „Wir wollen ja, dass wir uns gemeinsam Gedanken über eine bessere Zukunft machen.“
Von Sarah Kulgler

http://www.pnn.de/potsdam-kultur/874830/
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