2014-01-03 PNN Vom Aussterben bedroht

Vom Aussterben bedroht

Wie lange noch? Die Alte Brauerei, in der zahlreiche Bands Proberäume nutzen, soll zu luxuriösen Wohnungen umgebaut werden. Foto: Klaer

Kultureller Nachwuchs und alternative Projekte haben es in Potsdam schwer – ein düsterer Vorausblick

Wenn man sich die Potsdamer Kulturlandschaft ansieht, dann leuchtet sie in einem sehr klassischen Licht, es gibt das Hans Otto Theater mit einem hervorragenden Ensemble, den Nikolaisaal, der eine Bandbreite von Jazz über Klassik bis zu Lesungen anbietet – natürlich laufen diese Einrichtungen durch städtische Subventionen. Man gibt sich gern bemüht um die Kultur, es gibt einen eigenen Kulturstandort an der Schiffbauergasse und allgemein kann man wirklich feststellen, dass wir in dieser Stadt noch ein florierendes Kulturleben haben.
Nehmen wir das Waschhaus: 2013 war ein Jahr, in dem es dort so viele Highlights gab wie schon lange nicht mehr. Das liegt sicherlich daran, dass ein neues Team sich ans Werk gemacht hat – und diese Arbeit trägt Früchte. Nun ist das Waschhaus immer ein wenig das ungeliebte Kind gewesen, dem auf Gedeih und Verderb ein Scheitern prophezeit werden soll. Das hat das Waschhaus definitiv nicht verdient – aber es zeigt eben auch, wie sehr sich die Potsdamer Kulturlandschaft verändert hat.

In den Neunzigern sah es in Potsdam wesentlich anders aus: Kultur war hier ein autonomer Prozess, die Stadt hatte noch nicht dieses aufgehübschte Erscheinungsbild. Das Waschhaus war damals eines der zahlreichen Projekte, die in der Aufbruchmentalität vor allem der Hausbesetzerszene ihren Anfang nahmen. Mit dem subventionierten Unternehmen von heute im Kulturstandort Schiffbauergasse hatte das nichts zu tun, und die, die damals von einem selbstverwalteten kulturellen Leben in dieser Stadt träumten, setzen heute oft keinen Fuß mehr auf das Areal. Viel zu viele Kreative haben Potsdam den Rücken gekehrt, weil sie sich nicht mehr mit der Stadt identifizieren können. Darunter leidet natürlich die kulturelle Vielfalt, was aber anscheinend niemand wahrhaben will. Das ist ein ernsthaftes Problem in Potsdam: Auf diese Weise wird kulturelles Leben auf einen Zwang zum wirtschaftlichen Erfolg festgenagelt. Nun ist Kreativität per se nicht profitorientiert, es stehen ganz andere Werte im Vordergrund – die wenigsten, die mit einem Pinsel in der Hand in ihrem Atelier stehen oder sich ein Instrument umhängen, sind irgendwann in der Lage, damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Und das wissen sie genau.

Diese kleinen Pflänzchen, von denen es in Potsdam früher ganz viele gab, sind radikal vom Aussterben bedroht. Das sieht man deutlich am Beispiel Archiv: Das Projekt in der Leipziger Straße existiert seit 1994, und dort wird noch das versucht, was unzählige Male in Potsdam gescheitert ist – eine selbstverwaltete, profitunabhängige Kulturlandschaft zu etablieren, ohne Hochglanz, ein Ort, an dem man Kultur noch erleben kann, ohne das Gefühl zu haben, dass man sich einen Luxus leistet. Dass aber etwas so Lobenswertes so eiskalten Gegenwind abbekommt, ist unverständlich. Da werden Stimmen laut, die das Archiv weghaben wollen, rundherum entstehen Luxuswohnungen – da darf Kultur eben keinen Platz haben. Das ist eine sehr bittere Logik. Allerdings hat das Archiv auch Verteidiger, die um dessen Notwendigkeit wissen. Aber es spielt auch Angst mit: Ist ein saniertes, schickes Archiv überhaupt noch attraktiv? Oder droht hier einem unabhängigen kulturellen Aushängeschild der Stadt der Ausverkauf? Mittlerweile ist das Archiv ein Jahr geschlossen, und eine Wiedereröffnung wird immer weiter hinausgezögert. Sicherlich hängt da der Vorwurf laut und deutlich dran, dass es sich um eine Schikanierung des Projektes handelt. Aber vielleicht ist das, was so schmerzhaft als Schikane empfunden wird, einfach nur Bürokratie. Allerdings fällt es schwer, zwischen Bürokratie und Schikane einen Strich zu ziehen – die Unterschiede verschwimmen. Aber gerade das Archiv steht – wie andere Hausprojekte auch, etwa La Datscha an der Havel im Babelsberger Park – für eine entbürokratisierte Kultur, eben für jeden, unabhängig vom Budget des Besuchers. Und es wird sich auch nicht einfach auf das Freiland-Gelände legen lassen.

Ein Beispiel für das Verschwinden kultureller Räume aus der Innenstadt ist das Theaterschiff, welches noch an der Freundschaftsinsel ankert, zentral und gut erreichbar – im Schatten eines neuen Schlosses, welches die preußische Tradition des Prunks abbildet. Hier treffen zwei gegensätzliche Dinge aufeinander, und selbstverständlich muss eines weichen: Das Theaterschiff zieht voraussichtlich am 4. Februar an den Kulturstandort Schiffbauergasse. „Wir haben eh keine Chance und können uns auch nicht verschließen“, sagt Bob Schäfer vom Theaterschiff. Aber die Innenstadt werde auch immer kulturärmer, was für ihn auch eine Folge der Stadtpolitik sei. Und bei der Finanzierung bleiben eben die Kleinen auf der Strecke. Für Schäfer gibt es zwei Dinge, die ihn an ein Weitermachen glauben lassen. Eines davon ist Idealismus. Das andere ist Lobbyarbeit: „Ohne Lobbyarbeit hat man keine Chance.“ Doch den kleinen Künstlern fehlt gerade diese, und nur mit Idealismus ist die Gefahr zu groß, dass man an seine Schranken stößt.

Potsdam ist eine liebens- und lebenswerte Stadt, aber wenn sie zu einem hochpreisigen Wohnstandort wird, an dem nur noch kulturelle Dienstleister einen Platz haben, sieht die Zukunft düster aus. Und das bekommen auch die zu spüren, die nichts anderes wollen, als ihrer Stadt ein kulturelles Gesicht zu geben. Gordon Burrmann ist das Sprachrohr der Initiative „Musiker und Künstler in Potsdam brauchen ihren Freiraum“. Er probt mit seiner Band Step Into The Hellgarden in der Alten Brauerei, Dutzende Bands und Projekte finden dort ihren kreativen Rückzugsraum. Das Haus ist jedoch verkauft, dort kommen Wohnungen hinein, die Potsdam eben benötigt. Damit verlieren die Bands aber ihren Platz – und können ihn nicht ersetzen. Die Situation ist alarmierend: „Die Bands, die jetzt an einem Strang ziehen, werden zu Gegnern und Konkurrenten“, sagt Burrmann. Er hat davon gehört, dass die Alte Glaserei in Babelsberg einen Betreiber gefunden habe, der stundenweise Proberäume vermieten will – aber mit kommerziellem Hintergedanken. Dabei brauche eine Band aber einen Raum, zu dem sie permanent Zugang hat, um arbeiten zu können. Seitens der Stadt kam keine Antwort auf eine Anfrage, aber in der Regel sind Proberäume ja selten in kommunaler Hand. „Vielleicht könnte man ja das Mercure für Künstler zur Verfügung stellen, anstatt es abzureißen. Oder was wird eigentlich mit dem Kreml?“, sagt Burrmann. Es gebe viele Ideen, aber es fehlt noch an Initiative. Burrmann trommelt jetzt die Betroffenen zusammen, die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Im Gespräch ist gerade ein öffentliches Konzert aller Bands auf der Brandenburger Straße, um auf die Situation aufmerksam zu machen, dass die Musiker bald auf der Straße stehen. Aber dafür ist es noch zu kalt, und die Zeit läuft.

Potsdam hat also ein Problem mit dem kulturellen Nachwuchs, auch wenn das düster klingen mag. Es ist da, unübersehbar, und es betrifft die Kleinen, die jungen Kreativen. Und niemand hat ein Patentrezept zur Hand, um diesen Mangel an kulturellem Freiraum beseitigen zu können. Zunächst einmal brauchen diese Menschen Wertschätzung und das Bewusstsein, in dieser Stadt erwünscht zu sein und benötigt zu werden. Wenn irgendwann einmal auffällt, dass etwas fehlt, dann ist es zu spät. Gerade für diese Menschen ist es schmerzhaft, wenn für Millionen Euro Sachen aufgebaut werden, die es nicht mehr gibt, aber für Kultur kein Geld da ist. Es gibt so viele kleine Projekte, die im barocken Getöse Potsdams einfach nicht mehr zu hören sind. Aber eine Stadt ohne kulturellen Nachwuchs, ohne die kleinen Projekte, ohne die jungen Künstler und Musiker und ohne die Möglichkeit, abseits kommerzieller Strukturen diese Kultur auch frei zugänglich zu machen – so eine Stadt ist einfach nicht lebenswert.
Von Oliver Dietrich

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