2008-11-13 PNN - Gestürmtes Parlament

Gestürmtes Parlament

40 jugendliche Demonstranten unterbrachen Sitzung: Jakobs: „Methoden wie bei den Nazis“

Von Juliane Wedemeyer

Oberbürgermeister Jann Jakobs nannte es Nötigung: „Die Nazis haben auf diese Art und Weise Parlamentarier eingeschüchtert. Das sind schon die selben Methoden. Aber man kann sie nicht auf eine Stufe stellen oder vergleichen“, sagte Jakobs gegenüber den PNN. Er meinte die rund 40 Jugendlichen, die gestern den Plenarsaal gestürmt haben. Sie pfiffen, johlten und klatschten laut in die HändeEinige hielten Transparente. „Freiräume statt Schlosssträume“ stand darauf oder auch „Wir wollen rocken, nicht zocken – Spartacus“. Für eine Viertelstunde machte ihr Lärm das Stadtparlament handlungsunfähig. „Mikro ein, Mikro ein“, schrien sie. Im Rathaus hatte man schon die Polizei verständigt, sagte Jakobs. Ihr Einsatz wurde aber nicht nötig.

Die Demonstranten wollten über die Situation der Jugendkultur sprechen, über geschlossene Jugendklubs und -häuser, über den Polizeieinsatz am vergangenen Wochenende. 100 Polizisten hatten eine Feier von 250 Jugendlichen in der Skaterhalle in der Kurfürstenstraße gewaltsam beendet.

„Sie fordern das Rederecht ein, aber wollen nicht zuhören!“, rief der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Peter Schüler, den Jugendlichen zu. Schüler, der gestern zum ersten Mal eine Parlamentssitzung leitete, musste aufstehen, um gehört zu werden. Die Demonstranten wurden daraufhin leiser. „Wir brauchen doch nur zehn Minuten“, sagte ein junger Mann fast bittend. Die erhielten sie dann auch. Aber das Stadtoberhaupt hörte ihnen nicht zu. Jakobs verließ den Saal, als der Sprecher der Demonstranten – der Sonnenbrille, ein schwarzes Halstuch und Basecap trug – sich vor das Mikrofon stellte.

Hans-Jürgen Scharfenberg, der Fraktionschef der Linken, und Ute Grimm von den Anderen hatten das Rederecht für ihn beantragt – „Wir sind auch die Stadtverordneten dieser jungen Leute“, erklärte Grimm. Ihre Fraktionen hatten es gemeinsam mit den Grünen und einer FDP-Stimme gegen die CDU und SPD-Fraktion durchgesetzt. Oberbürgermeister Jann Jakobs hatte zuvor selbst das Wort ergriffen: Man könnte nicht einfach die Regeln der Demokratie außer Gefecht setzen. „Wenn wir damit anfangen, können wir nie wieder eine ordnungsmäßige Sitzung durchführen“, sagte er. So etwas Krasses habe er seit 1997 noch nicht erlebt, sagte Oberbürgermeister Jann Jakobs. 1997, Jakobs war noch Sozialdezernent, hatten 80 Hausbesetzer sein Büro gestürmt und verwüstet, Türen eingetreten und Akten aus dem Fenster geworfen.

Bürgermeister Burkhard Exner, die Beigeordneten für Soziales und Bauen Elona Müller und Elke von Kuick-Frenz hatten sich Jakobs angeschlossen. Ihre Plätze neben der Jugendbeigeordneten Gabriele Fischer blieben während der Rede leer. Die CDU-Fraktion war geschlossen aus dem Raum gegangen und SPD-Fraktions-Chef Mike Schubert hatte sich in die Besucherreihe gesetzt. Im Nachhinein missbilligte auch das Stadtverordnetenpräsidium den Vorfall und kündigte an, es solle „kein zweites Mal gelingen, die Stadtverordnetenversammlung zu nötigen“.

Die Demonstranten, die sich selbst Freirauminitiative Potsdam nennen, forderten an erster Stelle die „Aufklärung des brutalen Polizeieinsatzes in der Skaterhalle“. Die Polizisten waren wegen nächtlicher Ruhestörung aus Berlin dorthin gerufen worden, weil Potsdams Einheiten den Castortransport begleitet hatten. Sie hätten Feiernde mit „Schwuchteln“ und „Wichser“ beschimpft und grundlos zu Boden geschmissen. Vor der Party hatten 1500 Jugendliche friedlich für mehr Jugend- und Soziokultur in Potsdam demonstriert. Auch gestern forderten die Jugendlichen neue Standorte für sich, etwa für das Spartacus-Jugendhaus in der Schloss-Straße und das Archiv-Zentrum in der Leipziger Straße. Potsdam solle wieder lebenswert werden. „Wir geben unsere Stadt nicht auf.“

Quelle: PNN vom 13.11.2008